Dienstag, 3. September 2019

Ordensfrauen

Philanthropie

Angesichts der Vielzahl der Heiligen, die meisten längst wohlverwahrt beim Herrn, einige, man denke an die Ashburys, aber noch unter uns, würden die wenigen uns begegnenden Ordensschwester, wären sie nicht so unvergeßlich, kaum ins Gewicht fallen. Unvergeßlich ist die Franziskanerin, die, von großer Schönheit, während der ganzen Zugfahrt mit tiefen Ernst in ihrem Brevier gelesen hat. Unvergeßlich ist auch die Mathild. Unmittelbar vor dem ersten Krieg ist sie in das Regensburger Kloster der Englischen Fräulein eingetreten, hat das Kloster aber noch vor Kriegsende unter eigenartigen Umständen wieder verlassen, um nach einer kurzen Liaison mit den Betreibern der Münchener Räterepublik in ihr im Allgäu gelegenes Heimatdorf zurückzukehren. Dort hat man sie hinter ihrem Rücken eine rote Betschwester geheißen, was sie aber nicht sonderlich beeindruckt hat. Während die Englischen Fräulein oder auch Maria Ward-Schwestern mit der Ausbildung von Mädchen und Frauen eine gewisse Sonderstellung haben, verfolgen die Franziskanerinnen allgemein philanthropische Aufgaben, und so auch die Genossenschaft der Töchter der christlichen Liebe vom heiligen Vinzenz von Paul, kurz Töchter der christlichen Liebe oder, noch kürzer, Vinzentinerinnen. Jacek Dehnel, der das Genre des Kriminalromans ein wenig resoluter angeht als der Dichter, läßt sie in Tajemnica domu Helclów (Das Geheimnis des Helcelhauses, es handelt sich um ein von den Ordensfrauen geleitetes Armenhaus und Altersheim) als Szarytki oder Siostry Miłosierdzia św. Wincentego erscheinen. Das Buch spielt gegen Ende des 19. Jahrhundert, als eine Szarytka im Straßenbid leicht an der weitläufigen Fledermaushaube erkennbar und die Habilitation für Frauen einfach war, sie mußten nur einen Lehrstuhlinhaber heiraten, und schon waren sie Frau Professor. Pani Professorowa Szczupaczyńska (in deutscher Übersetzung etwa: Hechtling), die Protagonistin des Buches ist eine seltsame Mischung aus Jenny Treibel und Ms Marple. Philanthropie war für die adligen Damen der bevorzugte Zeitvertreib und zugleich ein Distinktionsfeld im Sinne Bourdieus, den Ordensfrauen blieb nur die Aufgabe, das Spielfeld pfleglich bereitzuhalten. Auf dieses Spielfeld drängt mit aller Macht, sozusagen als Jenny Treibel, auch Pani Professorowa Szczupaczyńska, nicht ohne, aber doch mit mäßigem Erfolg. Erfolgreicher ist sie, als sich im Zuge einer Reihe mysteriöser Todesfälle im Dom Helclów ihr Persönlichkeitsschwerpunkt deutlich zur bislang in ihr nur schlummernden Marple-Seite hin verlagert. Die verschreckten Ordensschwestern können dagegen keinen nennenswerten Beitrag zur Verbrechensaufklärung leisten. Unvergeßlich sind sie alle nicht, am wenigsten Siostra Aniceta, die Leichenwäscherin, von der es heißt, daß sie geboren wurde und nun in ihrer persönlichkeitslosen Gestalt ausharren muß bis zum Tode.

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