Clara kauft unversehens
ein Haus, damit trennen sich die Wege. Modiano kehrt in seinen Romanen immer
wieder zurück in die Zeit der schwebenden Unverbundenheit. Adroddwr, den
Erzähler, sehen wir zwar nie in Claras Haus geschweige denn beim Verzehr der
Hausmannkost, vielmehr stets nur auf Reisen. Immer aber ist Claras Haus als
ausgelagertes Zentrum vorhanden, so wie Penelopes Haus für Odysseus. Unerwartet und doch zuverlässig kehrt Odysseus, bei all dem, was ihn unterwegs erwartet, zurück in sein Haus auf Ithaka.
Samstag, 17. Oktober 2020
Hausmannskost
Pas de parents
Hausmannskost, dem Wörterbuch der Gebrüder Grimm zufolge die Nahrung, wie sie ein Hausvater gewöhnlich für sich und die Seinigen bereiten läßt, inzwischen ersetzt durch die in der Familie, von wem auch immer, bereitete und verzehrte Speise. Da wir Adroddwr, den Erzähler, nie zuhaus antreffen, erleben wir ihn auch nicht beim gemeinsamen Essen im Familienkreis. Nur selten überhaupt sehen wir ihn eine feste Mahlzeit einnehmen, und wenn, dann unter meist unguten Umständen in einem Restaurant, die Pizza in Verona, die Fischschnitte in Lowestoft. In beiden Fällen ist er nicht nur allein am Tisch, sondern überhaupt der einzige Kunde in der Gaststätte. Der Besuch des Wadi Halfa noch in sehr jungen Jahren in der Begleitung Aurachs ist die Ausnahme. In einer Bar an der Riva kommt er mit dem Venezianer Malachio, ins Gespräch, in der Bar des Crown Hotels in Southwold mit dem Holländer de Jong. Auf seinen einsamen Wegen sowohl in den Schwindel.Gefühlen als auch in den Ringen des Saturn befindet sich der Erzähler in einer Ausnahmesituation. In den RS ist er nur für eine kurze, in den SG nur für eine begrenzte Zeit dem sogenannten heimischen Herd entwichen, der besteht, seitdem Clara, wie wir in der Erzählung Selwyn erfahren, unversehens ein Haus gekauft hatte.
Die gemeinsame Mahlzeit, Herzstück des familiären Zusammenhalts. Läßt man sich von Modianos Büchern leiten, gewinnt man den Eindruck, als gäbe es in den französischen Privathäuser und -wohnungen nur in Ausnahmefällen Kochherde. Man nimmt seine Mahlzeiten im Restaurant zu sich, im Café, Bistrot, in der Brasserie, man trifft sich, zu zweit, zu dritt, zu mehreren, wenn auch nicht unbedingt in fröhlicher Runde. Wem das Geld fehlt, sichert sich bis ins hohe Alter einen Studentenausweis, der zum Essen in der Mensa berechtigt. Kaum je fällt ein Wort über die Qualität des Essens. Waterzoi de poisson wird in einem Lokal angeboten. Die Bedienung stellt sich nicht ein, des Gast verläßt das Etablissement. Nicht nur das
Essen zuhaus, feste Wohnstätten scheinen überhaupt in Frankreich eine seltene
Gattung zu sein. Oft hat man nur vorübergehend eine Zimmer irgendwo, nicht
selten in einem Hotel. Alles ist darauf abgestellt, keinen festen Fuß zu
fassen, ein provisorisches Leben, ce perpétuel sentiment d‘incertidude. Im
Condé, dem Café de la jeunesse perdu, sitzen im Sommer und im Winter, bei Tag
und bei Nacht immer die gleichen Gäste, so als sei es ihr Domizil. In
Manchester ist es um Adroddwr, dem noch jungen Erzähler, zunächst nicht so sehr
anders bestellt. Auch er führt ein Leben in der Schwebe. Unterkunft findet er
in der Pension Arosa. Auf die gastronomische Dichte von Paris kann er allerdings nicht zurückgreifen, Manchester ist vielmehr
menschenleer und bewirtungsfrei. Am Leben festhalten läßt in allein der in
seinem Zimmer aufgestellte Teeapparat, durch sein Leuchten in der Nacht und
sein leichtes Sprudeln am Morgen. Manchester ist nicht Paris, aber Paris kann
sich für Augenblicke in eine Art Manchester verwandeln: Nous étions, cette nuit
là, dans une ville désert. Nous avions aucun ancrage dans la vie. Nous étions
seuls au monde. Aucun ancrage dans la vie, das entspricht aufs Wort Adroddwrs
unbegreiflichem Gefühl der Unverbundenheit, das es sehr leicht macht, sich aus dem
Leben zu entfernen.
Kein Teeapparat, aber: J'étais contente de voir cette lumière verte. Je ne sais pas pourquoi, elle me rassurait et j'ai fini par m'endormir.
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