Die Suche
Sebald starb am 14. Dezember 2001 im Alter von 57 Jahren bei einem Autounfall in der Nähe seines Wohnorts. Die Untersuchung der Todesursache ergab, daß er einen Herzinfarkt erlitten und den Wagen nicht mehr gelenkt hatte. Stachura hat ein Bild hinterlassen, das ihn läßig angelehnt an ein Auto zeigt, ein Auto, das aber nicht das seine ist und das er nicht fährt und wohl auch nicht zu fahren versteht. Wo immer es auch hingeht, er verläß sich auf die Bahn oder andere gängige, von ihm genutzte Verkehrsmittel. Viele Fahrten in viele Länder, das ist eine Besonderheit seines noch jungen Lebens, das und der nahezu tägliche Briefaustausch mit Zita, seiner Ehefrau. Auch bei zunehmender Seßhaftigkeit wird es, so die Erwartung, nicht anders sein. Es zeigt sich aber, daß zu Haus das Leben zu zweit ein anderes ist. Zita trennt sich bald von ihm, Einzelheiten kennt man nicht. Stachura begibt sich bald auf die Suche nach dem Tod, ohne ihn gleich zu finden. Er weicht dem sich nahenden Zug nicht aus und ramponiert sich die rechte Hand. Er lernt schnell, mit der linken Hand zu schreiben, und es scheint, als würde er sich unter der Obhut der Mutter wiederfinden. Bei einem geplanten Kurzaufenthalt in seiner Warschauer Wohnung erhängt er sich. Zita hat nicht darüber gesprochen und jegliche Auskunft über Stachura verweigert. Auch Sebalds Verwandte haben nach seinem Tod über ihn wenig preisgegeben
Mittwoch, 24. April 2024
Zum Tod
Samstag, 13. April 2024
Ungute Zeit
Er hoffte, durch eine Ortsveränderung über eine besonders ungute Zeit hinwegzukommen, man kann bestätigen, daß ihm das nicht gelungen ist. An Nachdenken und Vorbereitung fehlt es offenkundig. Hat er Bücher mitgebracht, die ja im Notfall immer ein wenig über die Langeweile hinweghelfen können? Bücher werden nicht erwähnt. Hatte er überhaupt irgendetwas geplant? Wir jedenfalls erfahren es nicht. Was hatte überhaupt die sogenannte ungute Zeit hervorgerufen, und woraus besteht sie? Jeden Morgen macht er sich in aller Frühe auf seine ziellosen Wege, die ungewollt immer auf den gleichen Ablauf und das gleiche Ziel hinauslaufen. Die Einkehr in Kaffeehäuser und Gastwirtschaften sind noch das gelungenste. Er bemerkt erst jetzt, daß er die ganze Zeit eine Plastiktasche voller unnützer Dinge mit sich herumträgt und sein Schuhwerk bereits völlig aufgelöst ist. Entsetzt über sich selbst, spürt er eine gewisse Genesung und verläßt das Wiener Hotel, um nach Venedig zu fahren. Eine Ortsveränderung der erlebten Art hat er vorher nicht gemacht und wird es ein zweites mal nicht machen. Ein einsames und lehrreiches Erlebnis, die zweite Reise nach Venedig sieben Jahre später gewinnt einen ganz anderen Charakter und ist nicht vergleichbar.
Samstag, 6. April 2024
Philosophische Glaubensfragen
Dienstag, 2. April 2024
Rauch
Samstag, 9. März 2024
Ein neuer Tag
Rückblick
Er fuhr von England aus nach Wien, in der Hoffnung, durch eine Ortsveränderung über eine ungute Zeit hinwegzukommen, die Tage neu zu erleben, die Erwartung stellte sich nicht ein. Jeder neue Tag ist als neuer Tag zu erleben, aber das gelingt nicht oft. Man eröffnet den Tag als neuen Tag und bemerkt schließlich erst, daß schon vier Tage unbemerkt dahingegangen sind. Ein Tag vergeht und ein zweiter, ein dritter, das ist kein neuer Tag, vielmehr immer noch derselbe, also nur ein Tag. Erst nach drei oder vier Tagen wird ein neuer Tag bemerkt. Einerseits sind erst zwei Tage wirklich vergangen, unbemerkt und täuschend aber schon sieben oder acht Tage. Ein trauriger Zustand. Man muß die Ohren spitzen und ständig die Pfeifgeräusche der Zeit erhören.
Alkohol
Formen des Lachens
Beim Hirschwirt kehrt er gegen Mittag ein, stärkt sich mit einer Brotsuppe und trinkt dazu einen halben Liter Tiroler. Zuvor hatte er an diesem Tag noch keinen Alkohol getrunken und auch im weiteren Verlauf des Tages wird er es sicher nicht übertreiben. Was aber ist mit dieser einen betrunkenen und immer wieder lauthals lachenden Frau? Man hält sie für besonders fragwürdig, gelinde gesagt. Die Stimmung in der Versammlung war großartig, und dann hörte man plötzlich die pijana kobieta, die betrunkene Frau, boże mój, mein Gott, das war schrecklich. Jeder kann lachen, muß lachen sogar, Lachen ist wichtig, man soll viel lachen, aber wie sie lachte, das war schrecklich. Sie fing an zu lachen, und ihm war, als ob man ihm die Luft genommen hätte. So war es. Zum ersten Mal in seinem Leben mußte er derlei hören, dieses Lachen eben. Viele Teilnehmer, auch Frauen, hatten ein Gläschen getrunken, lachten fröhlich, aber das Lachen, dieser Frau, dieses unerhörte Lachen war schlimm. Man trifft einen Menschen, er sagt etwas, man antwortet, und beide müssen lachen, so ist es gut, so soll es sein. Die betrunkene Frau aber war anders, ganz anders, schrecklich, widerlich, ihr Lachen verletzte die menschliche Würde, das menschliche Dasein geradezu. Ergäbe sich im nüchternen Zustand ein anderes Bild von ihr? Der Name der betrunkene Frau ist nicht bekannt.
Mittwoch, 6. März 2024
Olga
Kurzfassung
Freitag, 1. März 2024
Odysseus
Ewiges Leben
Der Dichter schaut sich um in der Welt, zum Beispiel in den USA, und auch in der Vergangenheit, man denke etwa an das von ihm erzählte Leben der chinesische Kaiserin in den Ringen des Saturn. Zurück bis in die Welt der alten Griechen oder der noch tieferen Vergangenheit begibt er sich allerdings nicht. Luc Ferry, der französische Philosoph, kann erzählerisch und bildnerisch aushelfen. An Homers Erzählung vom zehnjährigen Trojanischen Krieg schließt sich nahtlos die zehn Jahre dauernde Rückkehr des Odysseus nach Ithaka an. Die Nymphe Kalypso hatte ihn bezirzt und ihm unter anderem das ewige Leben versprochen, auf das Odysseus letztendlich aber verzichtete. Ithaka und Penelope waren ihm mehr wert als das Leben, das war und ist eine gelinde gesagt unübliche Haltung, die archaische Prosa schaute primär auf das endlose Leben. Nochmals einige hundert Jahre zuvor spielte sich die Erzählung vom Gilgamesch ab, die älteste bislang bekannte Erzählung überhaupt, die Illustrationen wiederum nach Vorgaben von Luc Ferry machen uns Gilgamesch vertraut. Gilgamesch besteht aus drei Teilen, zwei Teile sind göttlich, der dritte, menschliche Teil verhindert seine Unsterblichkeit. Die vom Tod nicht wissen, können an ihn nicht glauben, noch weniger die, die von ihm wissen, auch hochentwickelte Tiere haben nur eine vage Ahnung vom Tod. Draufgängerisch wie Gilgamesch ist, erwartet man, daß er, abgesehen von diesen Umwegen, auch den dritten Teil ohne viel Umstände auf den göttlichen Weg der Unsterblichkeit zu lenken vermag, aber das tritt nicht ein. Das ändert sich, als Jesus den Raum betritt. Er kultiviert mittels der Wiederauferstehung das ewige Leben über den Umweg des Todes, für zweitausend Jahre gibt er den Ton an. Für Michel Onfray hat es Jesus nie gegeben, die Glaubensbereitschaft läßt generell erkennbar nach. Einige Philosophen versuchen inzwischen, zurecht ohne viel Erfolg, das ewige Leben durch das sogenannte Glückliche Leben zu ersetzen.
Samstag, 17. Februar 2024
Kurzfassung
Man spürte gleich, es würde nicht gutgehen, die Ortsveränderung erfüllte keineswegs die Erwartungen, alles wurde nur noch schlimmer. Erst die Begegnung mit Malachio, dem Astrophysiker, ließ aufatmen, vor allem die gemeinsame Bootsfahrt durch die Kanäle der Stadt Venedig. Der Rückfall aber ließ nicht lange aus sich warten. Nun ist er, offenbar als einziger Gast, in einer Pizzeria eingekehrt, glücklich wird er nicht, den Teller mit der nur zur Hälfte gegessenen Pizza muß er beiseite schieben. Er vermochte nicht, den Kellner herbeizurufen und die Rechnung zu verlangen. Irgendwann bringt der Kellner von sich aus die Rechnung. Er legt 10 000 Lire auf den Teller, rafft die Zeitung zusammen, stürzt auf die Straße hinaus, ruft ein Taxi und fährt ins Hotel zurück, packt in aller Eile seine Sachen und flüchtet mit dem Nachtzug. Sieben Jahre später, wieder zunächst in Venedig und dann in Verona, haben sich die Dinge weitgehend geklärt.