Montag, 18. Oktober 2021

Neue Zeit

Umgestaltung

All die Seelos, Ebentheuer der Uhrmacher, Hengge der Maler, Köpf der Bader, Mayr der Bäcker, alle haben sie einen Namen, nur die Landwirte nicht. Die angetrunkenen Bauern und Holzknechte sitzen unterschieds- und gesichtslos in der fürchterlichen, von dichten Schwaden durchzogenen Wirtsstube mit stierer Haltung auf den Bänken, als seien sie aus der Zeit gefallen.

Edward Redliński hat in den frühen siebziger Jahren zwei humoristisch-groteske Bücher über Rückständigkeit und das Wunder der Erneuerung geschrieben, Awans (Aufschwung) und Konopielka (Hanfmädchen), der Ort des Geschehens ist jeweils die ländliche Umgebung von Bialystok. Die Menschen leben hier, als seien allenfalls zwei Generation seit dem Zeitalter der Sammler und Jäger hin zu Landbau und Viehzucht vergangen, dies wiederum erachtet als Endstation der menschlichen Entwicklung. Sie könnten sich auf Cioran berufen, der bedauert, daß die Menschheit über den Status von Hirtenvölkern hinaus geraten sei, Cioran ist ihnen als Analphabeten naturgemäß aber unbekannt. In Awans bemüht sich ein Lehrer um die sogenannte Aufklärung, in Konopielka ist es eine Lehrerin. Die Lehrerin erreicht unter dem Landvolk nur eine gelinde, dafür aber möglicherweise nachhaltige fortschrittliche Orientierung, der Lehrer löst mit dem bis dahin unbekannten Fernsehen einen ihn selbst überraschenden und so nicht gewünschten Sprung in die Neuzeit aus. Das Fernsehen ist reichhaltiger als der Kirchgang, Urlauber einträglicher als Kartoffeln und Kühe, das Dorf wird umgestaltet in ein Ferienparadies. Dann aber zeigt sich, daß die Touristen das, wie sie meine, wahre und paradiesische Landleben einschließlich Übernachtung im Heuschober erleben möchten. In einer Rolle rückwärts finden die Dörfler zurück vom gerade erst erlernten städtischen Polnisch zum masurischen, für Fremde kaum verständlichen Dialekt als Teil einer Wildostschau der Urwüchsigkeit.

Der Dichter blickt oft weit zurück in die Vergangenheit, aber nicht in die Vergangenheit der Bauernschaft. Was die Gegenwart anbelangt, hat er, ganz wie Redliński, das von ihm so genannte Ferienvolk im Auge als eines der Symptome einer Moderne, die die an sie gerichteten Erwartungen nicht erfüllt. Im frühen neunzehnten Jahrhundert, da war war man noch voller Hoffnung, daß alles ganz anders kommen würde, als wie es dann tatsächlich kam.

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