Ein wenig irre
In den endlosen Schulstunden vor allem und in der Abenddämmerung hatte er sich seine amerikanische Zukunft in allen Einzelheiten und Farben ausgemalt. Diese Phase der imaginären Amerikanisierung seiner Person, während der er streckenweise zu Pferd, streckenweise in einem dunkelbraunen Oldsmobile die Vereinigten Staaten in allen Himmelsrichtungen durchquerte, erreichte ihren Höhepunkt zwischen seinem sechzehnten und siebzehnten Lebensjahr, als er die Geistes- und Körperhaltung eines Hemingway-Helden in und an sich auszubilden versuchte, ein Simulationsprojekt, das aus verschiedenen Gründen, die man sich denken kann, zum Scheitern verurteilt war. Ein Jugendphoto zeigt den Dichter in einem Fell- oder Plüschmantel, auf dem Kopf eine Strickmütze, der die verschiedensten Schutz- und Outdoorfunktionen zuzutrauen sind, die aber nicht als Red Hunting Hat einzuordnen ist. Gleichwohl wäre Holden Caulfield für ein Simulationsprojekt wohl geeigneter gewesen als etwa der Lieutenant Henry, zumal Holden, auch erst sechzehn, Hemingway und den Lieutenant bereits entlarvt hatte: My brother got me to read this book A Farewell to Arms. He said it was so terrific. That’s what I can’t understand. It has this guy in it named Lieutenant Henry that was supposed to be a nice guy and all. I don’t see how my brother could hate the Army and war and all so much and still like a phony like that. I mean, for instance, I don’t see how he could like a phony book like that and still like that other one he’s so crazy about, The Great Gatsby.
Phony ist, ähnlich wie bei Freud die Libido oder bei Girard die mimetische Rivalität, Holdens große Weltkategorie, in der er gut neunzig Prozent der sichtbaren und unsichtbaren Dinge verschwinden läßt, Phoebe, Holdens kleine Schwester, tippt vorübergehend gar auf hundert Prozent. Er widerlegt sie aber mit dem Wunschbild des Fängers im Roggen, der seine Zeit damit verbringt, Kinder, die in großer Schar in einem Roggenfeld spielen, vor dem Sturz über die Klippe zu bewahren: eine Position im Leben, die durch ihren schönen Aberwitz begeistert. Das Gegenteil von phony ist denn auch nicht einfach wahrhaftig oder echt, sondern wahrhaftig & somewhat crazy. Jane Gallagher etwa ist wahrhaftig & somewhat crazy, wenn sie die durch Bauernumwandlung gewonnenen Schachfiguren aus Respekt vor deren Würde an der Linie beläßt und auf den spieltechnischen vorteilhaften Einsatz verzichtet. Den Red Hunting Hat hat Holden ohne Hintergedanken aus einer Laune heraus erstanden. Er trägt ihn nicht ostentativ, und doch ist die Kappe Aus- und Nachweis seiner Craziness. Wahrhaftig und ein wenig irre kann eine Devise für das Leben oder auch für die Kunst sein. Stendhal kauft sich, als er nach Volterra fährt, einen neuen gelben Rock, dunkelblaue Beinkleider, schwarz lackiertes Schuhwerk, einen extrahohen Velourshut und ein paar grüne Brillen: um einiges farbenfreudiger noch als die rote Kappe, es steht außer Frage, Stendhal ist somewhat crazy. Bei Kafka gibt es ohnehin kein Zögern, beide haben die Prüfung bestanden, sie können passieren. Und der Dichter selbst? Trägt er sich in der Goldenen Taube zu Verona nicht ein als Jakob Philipp Fallmerayer, Historiker von Landeck?
In den endlosen Schulstunden vor allem und in der Abenddämmerung hatte er sich seine amerikanische Zukunft in allen Einzelheiten und Farben ausgemalt. Diese Phase der imaginären Amerikanisierung seiner Person, während der er streckenweise zu Pferd, streckenweise in einem dunkelbraunen Oldsmobile die Vereinigten Staaten in allen Himmelsrichtungen durchquerte, erreichte ihren Höhepunkt zwischen seinem sechzehnten und siebzehnten Lebensjahr, als er die Geistes- und Körperhaltung eines Hemingway-Helden in und an sich auszubilden versuchte, ein Simulationsprojekt, das aus verschiedenen Gründen, die man sich denken kann, zum Scheitern verurteilt war. Ein Jugendphoto zeigt den Dichter in einem Fell- oder Plüschmantel, auf dem Kopf eine Strickmütze, der die verschiedensten Schutz- und Outdoorfunktionen zuzutrauen sind, die aber nicht als Red Hunting Hat einzuordnen ist. Gleichwohl wäre Holden Caulfield für ein Simulationsprojekt wohl geeigneter gewesen als etwa der Lieutenant Henry, zumal Holden, auch erst sechzehn, Hemingway und den Lieutenant bereits entlarvt hatte: My brother got me to read this book A Farewell to Arms. He said it was so terrific. That’s what I can’t understand. It has this guy in it named Lieutenant Henry that was supposed to be a nice guy and all. I don’t see how my brother could hate the Army and war and all so much and still like a phony like that. I mean, for instance, I don’t see how he could like a phony book like that and still like that other one he’s so crazy about, The Great Gatsby.
Phony ist, ähnlich wie bei Freud die Libido oder bei Girard die mimetische Rivalität, Holdens große Weltkategorie, in der er gut neunzig Prozent der sichtbaren und unsichtbaren Dinge verschwinden läßt, Phoebe, Holdens kleine Schwester, tippt vorübergehend gar auf hundert Prozent. Er widerlegt sie aber mit dem Wunschbild des Fängers im Roggen, der seine Zeit damit verbringt, Kinder, die in großer Schar in einem Roggenfeld spielen, vor dem Sturz über die Klippe zu bewahren: eine Position im Leben, die durch ihren schönen Aberwitz begeistert. Das Gegenteil von phony ist denn auch nicht einfach wahrhaftig oder echt, sondern wahrhaftig & somewhat crazy. Jane Gallagher etwa ist wahrhaftig & somewhat crazy, wenn sie die durch Bauernumwandlung gewonnenen Schachfiguren aus Respekt vor deren Würde an der Linie beläßt und auf den spieltechnischen vorteilhaften Einsatz verzichtet. Den Red Hunting Hat hat Holden ohne Hintergedanken aus einer Laune heraus erstanden. Er trägt ihn nicht ostentativ, und doch ist die Kappe Aus- und Nachweis seiner Craziness. Wahrhaftig und ein wenig irre kann eine Devise für das Leben oder auch für die Kunst sein. Stendhal kauft sich, als er nach Volterra fährt, einen neuen gelben Rock, dunkelblaue Beinkleider, schwarz lackiertes Schuhwerk, einen extrahohen Velourshut und ein paar grüne Brillen: um einiges farbenfreudiger noch als die rote Kappe, es steht außer Frage, Stendhal ist somewhat crazy. Bei Kafka gibt es ohnehin kein Zögern, beide haben die Prüfung bestanden, sie können passieren. Und der Dichter selbst? Trägt er sich in der Goldenen Taube zu Verona nicht ein als Jakob Philipp Fallmerayer, Historiker von Landeck?
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