Letzte Stunde
Von der Vielzahl der Ansichtskarten, die der Engelwirtin Rosina Zobel im Laufe der Jahre zugeschickt worden waren, ist die eine hervorgehoben, die den rauchenden Kegel des Vesuvs zeigt. Der Dichter hat als Kind die Engelwirtin immer wieder besucht und die Karten jedesmal aufs Neue betrachtet. Von dem Bild des Vesuvs mag seine spätere Vorliebe für Brände, große und kleine, wie auch für den Vorgang der Verbrennung als solchen ihren Ausgang genommen haben. Vor allem anderen für den Herrn und seinen dunklen Kumpan, für die Hölle und das Purgatorium ist das Feuer unverzichtbar, Officium für die abgestorbenen Seelen, brucia continuamente. Brucia di continuo, auch für nomadische Frühmenschen war es einfacher das Feuer zu bewahren als es neu zu entfachen, auf den Streifzügen durch Savanne und Prärie wurde es immer mitgetragen, Witschascha peta, Lordfeuerbewahrer, die vermutlich erste Beamtenstelle der Menschheitsgeschichte.
Für den metaphysischen Bereich ist ein gleichmäßiger, kontrollierter Brand anzunehmen, von Brandschäden in der Hölle oder im Purgatorium ist nie etwas bekannt geworden, abgesehen von den beabsichtigten und immer wieder abheilenden Brandwunden an den Schattenleibern der Verdammten. Anders sieht es aus in der Natur und in den Wohnbezirken der Menschen. Vulkanausbrüche, Gewitter und Dürrezeiten können Brände verursachen, ebensogut menschliche Unzulänglichkeit oder technische Pannen. Der Große Brand von London geht wohl auf beide Ursachenquellen zurück, eine langanhaltende Dürre einerseits und Fahrlässigkeit beim Entfachen und Bewahren von Haushaltsfeuern andererseits. Und nun brennt alles zugleich, die Kirchen, Häuser, Holz und Mauersteine. Am Gottesacker die immergrünen Bäume fangen Feuer. Ein rasend kurzer Fackelbrand, ein Krachen, Funkenstieben und Erlöschen. Ist dies die letzte Stunde? Ein dumpfer, ungeheurer Schlag, das Pulverhaus fliegt auf. Um uns der Widerschein, und vor dem tiefen Himmelsdunkel in einem Bogen hügelan die ausgezackte Feuerwand bald eine Meile breit. - Der Dichter ist offenbar angetan von der Art, wie Pepys den großen Brand schildert, über seine eigenen Gedanken läßt er uns im Unklaren.
An dem Brand des Luzerner Bahnhofs fühlt er sich dagegen auf eine geradezu mystische Weise beteiligt. Es macht einen Unterschied, ob man von etwas liest, was vor langer Zeit geschah, oder ob man sozusagen Tatzeuge ist. Während eines kurzen Besuchs in der Schweiz sei er am späten Abend auf der Luzerner Seebrücke stehengeblieben und habe zum Bahnhof hinübergeschaut. Ein paar Stunden später dann, als er längst in tiefstem Schlaf in seinem Zürcher Hotelzimmer lag, sei dann in dem Luzerner Bahnhof ein mit großer Geschwindigkeit sich ausbreitendes und den Kuppelbau gänzlich zerstörendes Feuer ausgebrochen. In den nächsten Tagen habe sich dann in seinem Kopf die Vorstellung verdichtet, er sei der Schuldige oder zumindest einer der Mitschuldigen gewesen an dem Luzerner Brand. - Die deklarierten Schuldgefühle waren aber wohl nicht sehr tief, in erster Linie wurden sie, so der Eindruck, der Schönheit wegen ersonnen.
Wie Schiffe trieben nun in der Düsternis die Schemen der Kraftwerke, in denen die Braunkohle glühte, kalkfarbene Quader, Kühltürme, hochaufragende Schlote, über denen weiß gegen den in krankhaften Farben gestriemten Himmel die reglosen Rauchfahnen standen. Nur an der nachtfahlen Seite des Firmamentes zeigten sich ein paar Sterne, rußig blakende Lichter, die eines um das andere ausgingen und Schorfspuren hinterließen in den Bahnen, durch die sie immer gezogen sind. Südwärts, in einem weiten Halbrund, erhoben sich die Kegel der erloschenen Vulkane, von denen er sich in diesem bösen Traum wünschte, daß sie ausbrechen und alles überziehen möchten mit schwarzem Staub. - Der Dichter läßt Austerlitz diese Worte sagen, aber es ist er, der sich den rauchenden Kegel des Vesuvs auf der Ansichtskarte erinnert. Schon immer sind bei Bränden mehr Opfer erstickt als verbrannt. Wie in der Hölle und im Fegfeuer brennen auch auf Erden vor allem die Toten, ein totenstilles Betongehäuse unter einen weißen Rauchfahne, brucia di giorno e di notte.
Von der Vielzahl der Ansichtskarten, die der Engelwirtin Rosina Zobel im Laufe der Jahre zugeschickt worden waren, ist die eine hervorgehoben, die den rauchenden Kegel des Vesuvs zeigt. Der Dichter hat als Kind die Engelwirtin immer wieder besucht und die Karten jedesmal aufs Neue betrachtet. Von dem Bild des Vesuvs mag seine spätere Vorliebe für Brände, große und kleine, wie auch für den Vorgang der Verbrennung als solchen ihren Ausgang genommen haben. Vor allem anderen für den Herrn und seinen dunklen Kumpan, für die Hölle und das Purgatorium ist das Feuer unverzichtbar, Officium für die abgestorbenen Seelen, brucia continuamente. Brucia di continuo, auch für nomadische Frühmenschen war es einfacher das Feuer zu bewahren als es neu zu entfachen, auf den Streifzügen durch Savanne und Prärie wurde es immer mitgetragen, Witschascha peta, Lordfeuerbewahrer, die vermutlich erste Beamtenstelle der Menschheitsgeschichte.
Für den metaphysischen Bereich ist ein gleichmäßiger, kontrollierter Brand anzunehmen, von Brandschäden in der Hölle oder im Purgatorium ist nie etwas bekannt geworden, abgesehen von den beabsichtigten und immer wieder abheilenden Brandwunden an den Schattenleibern der Verdammten. Anders sieht es aus in der Natur und in den Wohnbezirken der Menschen. Vulkanausbrüche, Gewitter und Dürrezeiten können Brände verursachen, ebensogut menschliche Unzulänglichkeit oder technische Pannen. Der Große Brand von London geht wohl auf beide Ursachenquellen zurück, eine langanhaltende Dürre einerseits und Fahrlässigkeit beim Entfachen und Bewahren von Haushaltsfeuern andererseits. Und nun brennt alles zugleich, die Kirchen, Häuser, Holz und Mauersteine. Am Gottesacker die immergrünen Bäume fangen Feuer. Ein rasend kurzer Fackelbrand, ein Krachen, Funkenstieben und Erlöschen. Ist dies die letzte Stunde? Ein dumpfer, ungeheurer Schlag, das Pulverhaus fliegt auf. Um uns der Widerschein, und vor dem tiefen Himmelsdunkel in einem Bogen hügelan die ausgezackte Feuerwand bald eine Meile breit. - Der Dichter ist offenbar angetan von der Art, wie Pepys den großen Brand schildert, über seine eigenen Gedanken läßt er uns im Unklaren.
An dem Brand des Luzerner Bahnhofs fühlt er sich dagegen auf eine geradezu mystische Weise beteiligt. Es macht einen Unterschied, ob man von etwas liest, was vor langer Zeit geschah, oder ob man sozusagen Tatzeuge ist. Während eines kurzen Besuchs in der Schweiz sei er am späten Abend auf der Luzerner Seebrücke stehengeblieben und habe zum Bahnhof hinübergeschaut. Ein paar Stunden später dann, als er längst in tiefstem Schlaf in seinem Zürcher Hotelzimmer lag, sei dann in dem Luzerner Bahnhof ein mit großer Geschwindigkeit sich ausbreitendes und den Kuppelbau gänzlich zerstörendes Feuer ausgebrochen. In den nächsten Tagen habe sich dann in seinem Kopf die Vorstellung verdichtet, er sei der Schuldige oder zumindest einer der Mitschuldigen gewesen an dem Luzerner Brand. - Die deklarierten Schuldgefühle waren aber wohl nicht sehr tief, in erster Linie wurden sie, so der Eindruck, der Schönheit wegen ersonnen.
Wie Schiffe trieben nun in der Düsternis die Schemen der Kraftwerke, in denen die Braunkohle glühte, kalkfarbene Quader, Kühltürme, hochaufragende Schlote, über denen weiß gegen den in krankhaften Farben gestriemten Himmel die reglosen Rauchfahnen standen. Nur an der nachtfahlen Seite des Firmamentes zeigten sich ein paar Sterne, rußig blakende Lichter, die eines um das andere ausgingen und Schorfspuren hinterließen in den Bahnen, durch die sie immer gezogen sind. Südwärts, in einem weiten Halbrund, erhoben sich die Kegel der erloschenen Vulkane, von denen er sich in diesem bösen Traum wünschte, daß sie ausbrechen und alles überziehen möchten mit schwarzem Staub. - Der Dichter läßt Austerlitz diese Worte sagen, aber es ist er, der sich den rauchenden Kegel des Vesuvs auf der Ansichtskarte erinnert. Schon immer sind bei Bränden mehr Opfer erstickt als verbrannt. Wie in der Hölle und im Fegfeuer brennen auch auf Erden vor allem die Toten, ein totenstilles Betongehäuse unter einen weißen Rauchfahne, brucia di giorno e di notte.
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