Endemische Gier
Die Begegnung des Erzählers mit dem bei Feuertod aus seiner Heimatstadt verbannten Dichter Dante in der Gonzagagasse zu Wien scheint folgenlos zu bleiben, gleichwohl aber hat, nur wenig später, die Szene im von einem wahrhaft höllischen Lärm umbrandeten Stehbuffet der Ferrovia Venedig einen unverkennbar dantesken Zuschnitt. Höllisch ist der Lärm, wie immer interessiert bei Dante das Inferno mehr als das Paradies. Es scheint, als sei die ganze sündhafte Menschheit hier versammelt, einige aber sind dem Himmel näher. Die Kassiererinnen sitzen auf erhobenem Posten, thronende Frauen, nur mit einer Art Schürze bekleidet, mit lockigem Haar und halbgesenkten Blick. Die auf einer angehobenen Plattform stehende Kellnerschaft in ihren frisch gestärkten, weißen Leinenjacken gleicht nicht anders als die ihnen verwandten Schwestern, Mütter und Töchter hinter den Registrierkassen einer eigenartigen Versammlung höherer Wesen, die nach einem dunklen System Gerichtstag hielten über ein von endemischer Gier korrumpiertes Geschlecht. Ob es sich um Angestellte des Himmels oder der Hölle handelt, läßt sich weder bei den Kassiererinnen noch bei den weißgekleideten würdevollen Männern mit letzter Sicherheit entscheiden. Sometimes I think it's a sin when I feel like I'm winnin' when I'm losin' again: und umgekehrt. Als ihm sein Cappuccino serviert wurde, war es dem Erzähler einen Augenblick zumute, als hätte der mit dieser Auszeichnung den bisher bedeutendsten Sieg seines Lebens errungen. Man muß sich vor Augen halten, daß der Erzähler sich hier zum einzigen Mal im ganzen Prosawerk in eine Konkurrenz begibt, in ein Menschengewühl, ja geradezu in einen Kampf. Das berauschende Siegesgefühl ist aber nicht von Dauer. Die Menschenmenge verwandelt sich in einen weiten Kreis abgeschnittener Köpfe, darunter wohl auch der seine, drauf und dran, in einem Schindergraben zu fallen. Ohne Zweifel führen Teufel das Regiment, und wie bei Dante sind sie Schergen eines rundum gerechten Gottes.
Ein trivialer Anlaß, die Bestellung eines Cappuccinos, wird mit groteskem Humor in schwindelnde Höhe phantasiert zu einer Frage von Leben und Tod und ewiger Verdammnis, eine akkurate Kurzfassung der Commedia Divina ergibt sich auf diese Weise naturgemäß nicht. Das Paradies entfällt, ohnehin hat es noch nie jemand gesehen, das Purgatorium, dieses prätentiöse Zwischending späten Datums, bleibt unbeachtet, die Hölle wird auf einen einzigen Höllenring, den der abgeschnittenen Köpfe reduziert. Für elaborierte Ordnungschemata nach Dantes Vorbild ist die moderne Gesellschaft inzwischen zu komplex oder zu windig, wie man es auch ausdrücken mag.
Die Begegnung des Erzählers mit dem bei Feuertod aus seiner Heimatstadt verbannten Dichter Dante in der Gonzagagasse zu Wien scheint folgenlos zu bleiben, gleichwohl aber hat, nur wenig später, die Szene im von einem wahrhaft höllischen Lärm umbrandeten Stehbuffet der Ferrovia Venedig einen unverkennbar dantesken Zuschnitt. Höllisch ist der Lärm, wie immer interessiert bei Dante das Inferno mehr als das Paradies. Es scheint, als sei die ganze sündhafte Menschheit hier versammelt, einige aber sind dem Himmel näher. Die Kassiererinnen sitzen auf erhobenem Posten, thronende Frauen, nur mit einer Art Schürze bekleidet, mit lockigem Haar und halbgesenkten Blick. Die auf einer angehobenen Plattform stehende Kellnerschaft in ihren frisch gestärkten, weißen Leinenjacken gleicht nicht anders als die ihnen verwandten Schwestern, Mütter und Töchter hinter den Registrierkassen einer eigenartigen Versammlung höherer Wesen, die nach einem dunklen System Gerichtstag hielten über ein von endemischer Gier korrumpiertes Geschlecht. Ob es sich um Angestellte des Himmels oder der Hölle handelt, läßt sich weder bei den Kassiererinnen noch bei den weißgekleideten würdevollen Männern mit letzter Sicherheit entscheiden. Sometimes I think it's a sin when I feel like I'm winnin' when I'm losin' again: und umgekehrt. Als ihm sein Cappuccino serviert wurde, war es dem Erzähler einen Augenblick zumute, als hätte der mit dieser Auszeichnung den bisher bedeutendsten Sieg seines Lebens errungen. Man muß sich vor Augen halten, daß der Erzähler sich hier zum einzigen Mal im ganzen Prosawerk in eine Konkurrenz begibt, in ein Menschengewühl, ja geradezu in einen Kampf. Das berauschende Siegesgefühl ist aber nicht von Dauer. Die Menschenmenge verwandelt sich in einen weiten Kreis abgeschnittener Köpfe, darunter wohl auch der seine, drauf und dran, in einem Schindergraben zu fallen. Ohne Zweifel führen Teufel das Regiment, und wie bei Dante sind sie Schergen eines rundum gerechten Gottes.
Ein trivialer Anlaß, die Bestellung eines Cappuccinos, wird mit groteskem Humor in schwindelnde Höhe phantasiert zu einer Frage von Leben und Tod und ewiger Verdammnis, eine akkurate Kurzfassung der Commedia Divina ergibt sich auf diese Weise naturgemäß nicht. Das Paradies entfällt, ohnehin hat es noch nie jemand gesehen, das Purgatorium, dieses prätentiöse Zwischending späten Datums, bleibt unbeachtet, die Hölle wird auf einen einzigen Höllenring, den der abgeschnittenen Köpfe reduziert. Für elaborierte Ordnungschemata nach Dantes Vorbild ist die moderne Gesellschaft inzwischen zu komplex oder zu windig, wie man es auch ausdrücken mag.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen