Montag, 10. Juni 2019

Vibrissen

Igmu

Die Häuser der Altstadt draußen sind in einem bösen Zustand. Aus schwarzen Eingängen und Mauerlöchern schauen die mageren korsischen Katzen hervor, stumm und klug - ist das der einzige Auftritt der Katze im Werk des Dichters? Ein Photo zeigt ihn gemeinsam mit seinem Hund auf dem Kanapee, ein vergleichbares Photo mit einer Katze ist nicht bekannt, und auch sonst kann sich die Katze nicht mit dem Hund messen, dem gewissermaßen die Rolle eines Koautors zuerkannt wird: My writing was always done in a random, haphazard fashion, in the same way in which a dog runs through a field. If you look at a dog following the advice of his nose, he traverses a patch of land in a completely anplottable manner. And he invariably finds what he is looking for. I think, as I have always had dogs, I’ve learned from them how to do this. Wie, so läßt sich fragen, sähe eine von der Katze bestimmte Prosa aus? Jake Page hat seinem Buch Do Cats Hear with Their Feet? ein Photo seiner Katze beigegeben, die die halbgeöffnete Schreibtischschublade als Ruhe- und Meditationsraum erwählt hat und damit zugleich ihre Bereitschaft zur literarischen Mitarbeit offen bekundet.

Bevor der Hund unweigerlich die Wahrheit findet, die er sucht, hat er sekundenschnell ungezählte Unwahrheiten abgewiesen, man kann es verfolgen, wenn man ihm, ohne daß er den Einschlag sieht, ein Stöckchen in ein Gewirr von tausend Stöcken wirft. Was für den Hund der schnelle Lauf, ist für die Katze das regungslose Dastehen. Sie steht nicht da aus Mangel an Einfällen, sondern als Hochleistungszentrale der Sinneswahrnehmung, Augen - berechtigterweise ist die Katze im Nocturama nicht vertreten, ihre Nachtsichtfähigkeit reicht nicht heran an die der Eule, der Falke übertrumpft sie am Tag, als Tag- und Nachtjäger aber ist sie  in der Summe von Tag- und Nachtsehen aller Kreatur voraus - die Augen also, dann die Ohren, die Nase und nicht zuletzt, worauf Page anspielt, die Vibrissen an den Füßen, mit denen sie noch das lautlose Getrippel der Mäuse in ihren unterirdischen Gängen wahrnimmt, gleichsam hört. Schließlich, nach all dem langen Warten, aus der Bewegungslosigkeit heraus, der kurze Galopp, der Beutesprung, in der Mehrzahl der Fälle erfolglos, ohne daß das die unendliche Geduld der Katze beeinträchtigen würde. Offenbar ist die Katze Vorbild weniger für den Dichter als für seinen Leser, all das Untergründige, den Jagdgefährten Gracchus, den Verbund der Heiligen, die geheimnisvollen Zahlen, die Strohhüte, dafür muß er seine Vibrissen in Stellung bringen.

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