Montag, 1. November 2021

Telephrenie

Holiker

Am Abend des zweiten Tages nach der Ankunft in Southwold brachte die BBC eine Dokumentation über den im Jahre 1916 in einem Londoner Gefängnis wegen Hochverrats hingerichteten Roger Casement. Obwohl ihn der Film sogleich in den Bann schlug, ist er in dem grünen Samtfauteuil, den er an den Fernseher gerückt hatte, bald schon in einen tiefen Schlaf gesunken. Einen Verfallenheit an das Fernsehen läßt sich bei ihm mithin nicht diagnostizieren. Über Roger Casement hat er sich dann auf andere Weise informiert. Die Fernsehsendung wäre eh nur eine Vorbereitung auf die Lektüre gewesen.

In Redlińskis Romangroteske Awans (Aufschwung) lehnt die Landbevölkerung die Einführung der Elektrizität zunächst strikt ab, die Bekanntmachung mit dem Fernsehen aber führt zu einer abrupten Wende bis hin zu Überlegungen, eine Święta Elektra als ranghöchste Heilige nach der Gottesmutter selbst einzuführen. Im Roman Telefrenia  greift Redliński das Thema erneut auf, die Fernsehsucht hat epidemisches Format eingenommen, zu den Anonymen Alkoholikern haben sich längst die Anonymen Teleholiker gesellt. Inzwischen machen die Kompuholiker den Teleholikern das Terrain streitig. Angesichts der Lage und des entfesselten Fortschritts führt Redliński vorsorglich den Wszystkoholik, den Rundumholiker ein.

Cioran urteilte, die Menschheit hätte nicht über das Niveau eines Hirtenvolks hinauswachsen dürfen, mit der Erfindung des Transistors sei ein menschengrechtes Leben vollends unmöglich geworden. Der Dichter bestätigt seinerseits den Untergang des menschlichen Lebens, wie wir es kennen. Aus dem Getöse der Technik entstehe jetzt das Leben, das nach uns kommt und das uns langsam zugrunde richten wird. Aber was kommt noch nach uns? Hat er nicht immer wieder darauf hingewiesen, daß alle Zivilisation auf Verbrennung beruht, brucia continuamente, wissen wir nicht inzwischen, was das bedeutet?

Keine Kommentare: