Lange Weile
Die Wohnzimmereinrichtung entsprach akkurat den Geschmacks- vorstellungen des für die damals sich formierende klassenlose Gesellschaft repräsentativen Durchschnittspaars. Das Wohnzimmer bestand also aus einem massiven Wohnzimmerschrank, in welchem die Tischdecken, die Servietten und das silberne Besteck aufbewahrt wurden und so weiter und so fort: Die elterliche Wohnung wird rückblickend einer, wie man sagt, kritischen Bewertung unterzogen, eine rückversetzte Betrachtung mit den Augen des Kindes wäre unergiebig geblieben, dem Kind war die Stube hinter einer Firniß der Selbstverständlichkeit verborgen, besondere Eindrücke konnten sich nicht einstellen. Das war anders bei der Wohnstätte der Seelosschwestern.
In der Regel einmal in der Woche hat der Großvater die Mathild Seelos besucht zum Kartenspiel und zu ausgedehnten Gesprächen und oft hat ihn der Enkel begleitet. Wenn der bei diesen Besuchen lange Weile hat, war ihm doch nie langweilig. Unter anderem zwei als Wohnungsschmuck dienende Bildkunstwerke fesseln seine Aufmerksamkeit. Angesichts der Jugend des Betrachters waren die Gemälde vor einer vermutlich vernichtenden kunstkritischen Untersuchung geschützt. Auch unterbleiben Überlegungen, was die an sich eigentümliche Wahl dieser Bilder hatte begünstigen können. An der Wand über der Anrichte hing das Bild, auf dem der Selbstmord eines Liebenspaares dargestellt war. Am Ende des Landungsstegs angekommen, strebt der Fuß des Mädchens und des Mannes in die Tiefe, man fühlt aufatmend, wie beide schon von der Schwerkraft ergriffen sind. Da aber der nächste Augenblick nicht eintreten kann, sind die beiden mit der Hilfe der Kunst gleichsam in die Ewigkeit eingetreten. An der Wand der nach oben bis zum Dachboden führenden Stiege findet sich ein Öldruck, der ein aus dem Waldesdunkel hervorbrechendes Wildschwein zeigt, das nachhaltig die Laune einer zum Frühstück versammelten grünbefrackten Jägertruppe stört. Das Motiv des gejagten Jägers ist zumal dem kindlichen Gemüt immer eine große Genugtuung, die in diesem Falle wohlig noch überschattet wird von dem dunklen, in seiner Tiefe nicht auszulotenden Titel Im Ardennerwald.
Gerade die disparate Thematik der beiden Bildwerke läßt über eine verborgene Verbindung nachdenken, aber eine Synthese etwa in der Art von Freitod im Ardennerwald erweist sich nicht als sinnvoll. Eher ist Augenmerk darauf zu richten, daß der Liebestod zum Wohnbereich der Babett und der Bina zählt, das Wildschwein zu dem der im oberen Stockwerk logierenden Mathild. Die Babett und die Bina führen eine Jungfernwirtschaft, an der nichts die Männer im Dorf jemals hat anziehen können, das Motiv des Liebestodes wirkt gezielt deplaziert, es hätte aber wenig Zweck, dem Dichter wegen des den armen Schwestern zugedachten Bildes geringe Empathie vorzuwerfen, er würde sich sogleich auf die Chronistenpflicht berufen. Die Mathild hatte sich vor langen Jahren, in der roten Zeit, einige Monate lang in München sich aufgehalten, von wo sie in einem arg derangierten und fast sprachlosen Zustand nach Haus zurückgekehrt ist. Die damaligen Ereignisse, die wir im einzelnen nicht kennen, lassen sich zwar nicht präzis, aber vielleicht doch irgendwie passend unter dem volkstümlichen Ausdruck zusammenfassen, das Geschehen seien wie eine Wildsau über sie hinweggegangen.
Die Wohnzimmereinrichtung entsprach akkurat den Geschmacks- vorstellungen des für die damals sich formierende klassenlose Gesellschaft repräsentativen Durchschnittspaars. Das Wohnzimmer bestand also aus einem massiven Wohnzimmerschrank, in welchem die Tischdecken, die Servietten und das silberne Besteck aufbewahrt wurden und so weiter und so fort: Die elterliche Wohnung wird rückblickend einer, wie man sagt, kritischen Bewertung unterzogen, eine rückversetzte Betrachtung mit den Augen des Kindes wäre unergiebig geblieben, dem Kind war die Stube hinter einer Firniß der Selbstverständlichkeit verborgen, besondere Eindrücke konnten sich nicht einstellen. Das war anders bei der Wohnstätte der Seelosschwestern.
In der Regel einmal in der Woche hat der Großvater die Mathild Seelos besucht zum Kartenspiel und zu ausgedehnten Gesprächen und oft hat ihn der Enkel begleitet. Wenn der bei diesen Besuchen lange Weile hat, war ihm doch nie langweilig. Unter anderem zwei als Wohnungsschmuck dienende Bildkunstwerke fesseln seine Aufmerksamkeit. Angesichts der Jugend des Betrachters waren die Gemälde vor einer vermutlich vernichtenden kunstkritischen Untersuchung geschützt. Auch unterbleiben Überlegungen, was die an sich eigentümliche Wahl dieser Bilder hatte begünstigen können. An der Wand über der Anrichte hing das Bild, auf dem der Selbstmord eines Liebenspaares dargestellt war. Am Ende des Landungsstegs angekommen, strebt der Fuß des Mädchens und des Mannes in die Tiefe, man fühlt aufatmend, wie beide schon von der Schwerkraft ergriffen sind. Da aber der nächste Augenblick nicht eintreten kann, sind die beiden mit der Hilfe der Kunst gleichsam in die Ewigkeit eingetreten. An der Wand der nach oben bis zum Dachboden führenden Stiege findet sich ein Öldruck, der ein aus dem Waldesdunkel hervorbrechendes Wildschwein zeigt, das nachhaltig die Laune einer zum Frühstück versammelten grünbefrackten Jägertruppe stört. Das Motiv des gejagten Jägers ist zumal dem kindlichen Gemüt immer eine große Genugtuung, die in diesem Falle wohlig noch überschattet wird von dem dunklen, in seiner Tiefe nicht auszulotenden Titel Im Ardennerwald.
Gerade die disparate Thematik der beiden Bildwerke läßt über eine verborgene Verbindung nachdenken, aber eine Synthese etwa in der Art von Freitod im Ardennerwald erweist sich nicht als sinnvoll. Eher ist Augenmerk darauf zu richten, daß der Liebestod zum Wohnbereich der Babett und der Bina zählt, das Wildschwein zu dem der im oberen Stockwerk logierenden Mathild. Die Babett und die Bina führen eine Jungfernwirtschaft, an der nichts die Männer im Dorf jemals hat anziehen können, das Motiv des Liebestodes wirkt gezielt deplaziert, es hätte aber wenig Zweck, dem Dichter wegen des den armen Schwestern zugedachten Bildes geringe Empathie vorzuwerfen, er würde sich sogleich auf die Chronistenpflicht berufen. Die Mathild hatte sich vor langen Jahren, in der roten Zeit, einige Monate lang in München sich aufgehalten, von wo sie in einem arg derangierten und fast sprachlosen Zustand nach Haus zurückgekehrt ist. Die damaligen Ereignisse, die wir im einzelnen nicht kennen, lassen sich zwar nicht präzis, aber vielleicht doch irgendwie passend unter dem volkstümlichen Ausdruck zusammenfassen, das Geschehen seien wie eine Wildsau über sie hinweggegangen.
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