Donnerstag, 2. März 2017

Kulturvermittler

Kalt und verachtend

Es wird niemanden überraschen, wenn er sich nach dem Betreten des Museums über den Tresenrand beugen muß, um in einem schwarzledernen zurückgekippten Bürosessel eine jüngere Frau sitzen, ja, beinahe hätte man sagen können liegen zu sehen. Vom vielen Stehen ruhte sie sich aus und war vielleicht sogar ein wenig eingeschlummert. Als die Museumskassiererin sich erhob, erwies sie sich als eine Dame von sehr stattlichem Format, die zudem eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Franzosenkaiser aufwies, in dessen Geburtshaus sie als Türhüterin amtierte. Schon gar nicht wird man sich wundern, wenn auf dem oberen Absatz der schwarzen Marmortreppe eine weitere Dame wartet, die gleichfalls der napoleonischen Linie zu entstammen schien. Niemand, auch der reisende Dichter nicht, wird irgendwelche Einwände gegen diese lebendige und stumme Erweiterung der Exponate und des Ausstellungsgeschehens vorbringen. Niemals aber würde sich der Dichter einer der allseits bekannten wortreichen Museumsführungen anschließen. Lieber wandert er planlos in den Zimmern herum, geht in den ersten Stock hinunter und dann wieder in den zweiten herauf. Schon andere Besucher sind ihm lästig, wenn möglich wartet er ab, bis sie, die mit einem Ausdruck völliger Verständnislosigkeit die Säle durchwandern, wieder verschwunden sind. Ideal ist die Mesnerin von Sant’Anastasia, eine kummervolle und von langen Jahren des Schweigens und der Einsamkeit fast schon vergangene Frau, die, nachdem sie kurz nach vier Uhr das schwere eisenbeschlagene Hauptportal aufgesperrt hatte, und einem Schatten gleich durch das Kirchenschiff vor ihm, dem einzigen Besucher, hergeschwankt war, wortlos in ihrem Verschlag verschwand. Unbehelligt fürderhin konnte er sich in das Fresco vertiefen, das der Maler Pisanello über dem Eingang zur Kapelle der Pellegrini um das Jahr 1435 verfertigt hat.

Wenn der Dichter Kulturvermittler etwa in der Gestalt von Fremdenführern nicht in Anspruch nimmt, heißt das nicht, er wisse nicht von ihnen. Die Arena in Verona war menschenleer bis auf eine Gruppe später Ausflügler, denen ein sicher nahezu achtzig Jahre alter, wenn nicht noch älterer Cicerone mit einer dünn und brüchig gewordenen Stimme die Einzigartigkeit des Bauwerks beschrieb. Der alte Mann, der wenig mehr als vier Fuß messen mochte, trug ein um vieles zu großes Jackett, das, da er bucklig war und stark vornübergebeugt ging, mit dem vorderen Saum bis an den Boden reichte. Die Ausflügler aber zeigten sich wenig beeindruckt von der Architektur- und Opernbegeisterung des verwachsenen Fremdenführers, der, indem er sich auf den Ausgang zubewegte, das eine oder andere seinen schönen Ausführungen noch anfügte, wobei er stets einhielt, sich umwandte und den Zeigefinger der Rechten gegen die gleichfalls stehenbleibende Gruppe erhob wie ein winziger Schullehrer vor einer um Haupteslänge ihn überragenden Kinderschar. - Der Leser ist bereit, den Ausflüglern ihre schnöde Mißachtung der klugen, in schönem Italienisch vorgetragenen Ausführungen zum Vorwurf zu machen, der Dichter aber sich verhält ganz unparteiisch. Nichts hätte er dagegen, mit dem Cicerone, ähnlich wie später mit Salvatore Altamura, in ein Zwiegespräch über die Arena einzutreten, die Redeform des Vortrags ist ihm suspekt. Im gesamten Prosawerk ist das Zwiegespräch die dominierende wenn nicht einzige Form des verbalen Austausches. Für einen Dichter, der, einem Fremdenführer nicht unähnlich, als kulturvermittelnder Hochschullehrer erwerbsmäßig Vorlesungen gehalten hat, ein auffälliger Befund.

Unter dem Portal der Grabeskirche bot sich den beiden Reisenden ein verwachsenes Männlein mit einer mordsmäßigen Nase als Führer an durch das Gewirr der ineinandergebauten Quer- und Seitenschiffe, Kapellen, Schreine und Altäre. Er hatte einen bis weit in das letzte Jahrhundert zurückdatierenden grellgelben Gehrock am Leib, und seine krummen Beine steckten in einer mit himmelblauen Streifen besetzten ehemaligen Dragonerhose. Mit winzigen Schritten tanzte er, halb stets den Reisenden zugewandt, voraus und redete in einem fort in einer von ihm wahrscheinlich für Deutsch oder Englisch gehaltenen unverständlichen Phantasiesprache. Immer wenn sein Auge die Reisenden traf, fühlten sie sich verachtet und kalt wie herrenlose Hunde. - Klein, verwachsen, auffälliger Rock, die Ähnlichkeiten mit dem Cicerone sind nicht zu übersehen und lassen die Unterschiede nur umso deutlicher hervortreten. Mit nur zwei Reisenden hat es der Führer zu tun, eine Situation nahe dem Zwiegespräch, das aber nicht zustande kommt, schon weil die gemeinsame Sprache fehlt. Als ein bösartiger Kobold erscheint der Führer, immer wenn er seinen Blick auf sie richtete, fühlten sie sich verachtet und kalt wie herrenlose Hunde: der Kafkaton, mit dem die ganz anders geartete Prosa des Dichters latent immer unterlegt ist, drängt an die Oberfläche. Es ist ein Auszug aus Adelwarths Tagebuch, der Erzähler ist nicht anwesend und kann nicht vermittelnd eingreifen. Der Erzähler selbst hatte in Verona, kaum daß der Cicerone und seine Zuhörerschaft das Theater verlassen hatten, die Augen zweier junger Männer kalt und verachtend auf sich gerichtet gespürt und eilends die Flucht ergriffen.

Durch die gleißende Leere des Jordantales geht Adelwarth und Solomon ein blinder Führer voraus, kalter und verachtender Blicke nicht fähig. Die Aufgabe des Führers besteht nicht in der Erläuterung von Kunst- und Kulturschätzen, er leitet die beiden durch unwegsames Gelände. Sprachliche Verständigung in Form von Vorträge oder Zwiegesprächen ist nicht möglich, der Führer deutet lediglich mit seinem Stab auf einen dunklen Fleck am Horizont und schreit mehrfach er-Riha, er Riha. Es ist die erste von zwei Expeditionen ins Jordantal, Schauplatz dieser ersten Expedition ist ein Traum, den Adelwarth in seinem Tagebuch festgehalten hat.

 

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