Donnerstag, 26. Oktober 2017

Verletzlich

Dekapitation

Cioran ist Paul Celan, den er gerne mochte und gut kannte, nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen, aus Angst ihn zu verletzen, denn alles habe Celan verletzt. Wenn Cioran ihn traf, mußte er ständig auf der Hut sein und überwachte sich so sehr, daß er nach einer halben Stunde ganz erschöpft war. Ist das Verhältnis des Erzählers zu Austerlitz ähnlich, läßt er ihn deshalb reden und trägt selbst kaum etwas bei? Auf einem gemeinsamen Spaziergang ergreift der Erzähler entgegen seiner Gewohnheit das Wort und erzählt Austerlitz von einem einfachen Mann aus Halifax, der nach dem Tode seiner Frau in eine so tiefe Trauer verfallen war, daß er den Entschluß faßte, sich selber das Leben zu nehmen, und zwar vermittels einer eigenhändig von ihm in das Betongeviert der äußeren Kellerstiege seines Hauses hineingebauten Guillotine, die seinem Handwerkersinn, nach gründlicher Erwägung anderer Möglichkeiten, das verläßlichste Instrument zur Ausführung seines Vorhabens schien, und tatsächlich hatte man ihn in einem solchen, ungemein solide gebauten und bis ins kleinste sauber gearbeiteten Dekapitationsapparat schließlich liegen gefunden, die Zange, mit der er den Zugdraht durchschnitten hatte, noch in der erstarrten Hand. Austerlitz antwortet auf den im Stile Kleists vorgetragenen Bericht längere Zeit nicht, vielleicht, so mutmaßt der Erzähler, weil er das Herausstreichen der absurden Aspekte des Falls als eine Geschmacklosigkeit empfunden hatte. Nach einer Weile aber bestätigt Austerlitz in nüchterner Sachlichkeit, er könne den Schreiner in seiner sorgfältigen Planung und allen Anforderungen der Handwerkskunst genügenden Durchführung sehr wohl verstehen, denn es gäbe nichts Schlimmeres, als auch noch das Ende eines unglücklichen Lebens zu verpfuschen. Cioran berichtet von seiner Angst vor Celans Verletzlichkeit, als der sich tags zuvor umstandslos in der Seine ertränkt hatte.

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