Gottesverräter
Nicht nur, daß Kinder ausschließlich in der erinnerten Kindheit Erwachsener erscheinen, auch junge Leute sind rar in der Jetztzeit. Unter diesem Gesichtspunkt ist es schon fast ein Glück, Furlan und Abel zu treffen. Furlans Vater ist ein bekannter Chirurg, Abels Vater ein aus Deutschland stammender Jurist, vor seiner Pensionierung Leiter der Zweigstelle einer großen deutschen Versicherungsgesellschaft in Verona. Die beiden jungen Leute sind hochbegabt, Abel studiert inzwischen Mathematik, Furlan Chemie. Abel ist zudem ein begnadeter Gitarrist. Alle Voraussetzungen sind gegeben für eine Jeunesse dorée, die übergeht in eine wissenschaftliche oder auch künstlerische Karriere. Die beiden entscheiden sich für eine andere Lebensform und ein anderes Ziel. Der Zweck ihres Daseins, so lassen sie später wissen, sei der Tod derjenigen, die Gott verraten haben. Nach Lage der Dinge kann wohl nur der Christengott gemeint sein, die theologische Ausrichtung der beiden ist im einzelnen nicht bestimmbar, das prägende Merkmal ist jedenfalls die Rigorosität.
Vor dem theologischen Hintergrund der Mordtaten lassen sich die Opfer zwei Gruppen zuteilen, der Gruppe der Geistlichen und der Gruppe der Sünder. Im einzelnen sind es auf der einen Seite zwei Mönche und ein Priester, auf der anderen eine Prostituierte, verschiedene Drogensüchtige, sechs Besucher eines Pornokinos. Auch den Kellner Stefanato und den Zigeuner Spinelli muß man, da sie eindeutig nicht dem geistlichen Stand angehören, wohl zu den Sündern zählen, auch wenn der Anlaß für die Zuordnung kaum zu erkennen ist. Bevor die beiden Schergen Gottes gefaßt wurden, hatten sie geplant, in Castiglione delle Stiviere am Gardasee eine Karnevalsgesellschaft mit vierhundert jugendlichen Teilnehmern in Brand zu setzen, ein klarer Hinweis auf eine großzügige Definition der Gottesverräter. Die beiden waren wie Brüder und wußten nicht, wie sie herauskommen sollten aus ihrer Unschuld, resümiert Altamura, eine verwegen milde Einschätzung, die an Rätselhaftigkeit verschiedenen undurchsichtigen Bemerkungen Kafkas nicht nachsteht. Der Dichter enthält sich wie üblich jeglichen Urteils. Das rechtliche Urteil ist ohnehin längst gesprochen, zuvor waren die beiden in Stiviere nur knapp dem Lynchtod entkommen. Das psychiatrische Gutachten hatte keine Erkenntnisse erbracht.
Niemand bekommt das Mordduo zu Gesicht, die Ereignisse bis 1980 sind dem Gazzettino entnommen, Altamura referiert die fortgesetzten Untaten aus verschiedenen Quellen ohne eigenen Augenschein. Der Dichter dagegen ist sich nicht sicher. Im Bahnhof Venedig fand er sieben Jahre zuvor zwei Augenpaare auf sich gerichtet. Es kam ihm vor, als seien ihm die beiden jungen Männer, die, wie er sich nicht nur einbildete, zu ihm herüberschauten, seit seiner Ankunft in Venedig schon mehrfach begegnet. In Verona nahm er im tiefen Schatten der jenseitigen Hälfte der Arena zwei Gestalten wahr, bei denen es sich bei genauerem Hinsehen zweifellos um die beiden jungen Männer aus der Ferrovia handelte. Nun, da feststeht, daß die ORGANIZZAZIONE LUDWIG gerade nur aus zwei jungen Männern bestanden hatte, sind gleichwohl alle Möglichkeiten offen. Man mag nach wie vor paranoide Anwandlungen diagnostizieren und bezweifeln, daß es immer die gleichen Augenpaare waren, es mögen die immer gleichen Augenpaare harmloser Touristen gewesen sein, oder aber die Augen Abels und Furlans, den Dichter als einen weiteren Gottesverräter im Visier.
Nicht nur, daß Kinder ausschließlich in der erinnerten Kindheit Erwachsener erscheinen, auch junge Leute sind rar in der Jetztzeit. Unter diesem Gesichtspunkt ist es schon fast ein Glück, Furlan und Abel zu treffen. Furlans Vater ist ein bekannter Chirurg, Abels Vater ein aus Deutschland stammender Jurist, vor seiner Pensionierung Leiter der Zweigstelle einer großen deutschen Versicherungsgesellschaft in Verona. Die beiden jungen Leute sind hochbegabt, Abel studiert inzwischen Mathematik, Furlan Chemie. Abel ist zudem ein begnadeter Gitarrist. Alle Voraussetzungen sind gegeben für eine Jeunesse dorée, die übergeht in eine wissenschaftliche oder auch künstlerische Karriere. Die beiden entscheiden sich für eine andere Lebensform und ein anderes Ziel. Der Zweck ihres Daseins, so lassen sie später wissen, sei der Tod derjenigen, die Gott verraten haben. Nach Lage der Dinge kann wohl nur der Christengott gemeint sein, die theologische Ausrichtung der beiden ist im einzelnen nicht bestimmbar, das prägende Merkmal ist jedenfalls die Rigorosität.
Vor dem theologischen Hintergrund der Mordtaten lassen sich die Opfer zwei Gruppen zuteilen, der Gruppe der Geistlichen und der Gruppe der Sünder. Im einzelnen sind es auf der einen Seite zwei Mönche und ein Priester, auf der anderen eine Prostituierte, verschiedene Drogensüchtige, sechs Besucher eines Pornokinos. Auch den Kellner Stefanato und den Zigeuner Spinelli muß man, da sie eindeutig nicht dem geistlichen Stand angehören, wohl zu den Sündern zählen, auch wenn der Anlaß für die Zuordnung kaum zu erkennen ist. Bevor die beiden Schergen Gottes gefaßt wurden, hatten sie geplant, in Castiglione delle Stiviere am Gardasee eine Karnevalsgesellschaft mit vierhundert jugendlichen Teilnehmern in Brand zu setzen, ein klarer Hinweis auf eine großzügige Definition der Gottesverräter. Die beiden waren wie Brüder und wußten nicht, wie sie herauskommen sollten aus ihrer Unschuld, resümiert Altamura, eine verwegen milde Einschätzung, die an Rätselhaftigkeit verschiedenen undurchsichtigen Bemerkungen Kafkas nicht nachsteht. Der Dichter enthält sich wie üblich jeglichen Urteils. Das rechtliche Urteil ist ohnehin längst gesprochen, zuvor waren die beiden in Stiviere nur knapp dem Lynchtod entkommen. Das psychiatrische Gutachten hatte keine Erkenntnisse erbracht.
Niemand bekommt das Mordduo zu Gesicht, die Ereignisse bis 1980 sind dem Gazzettino entnommen, Altamura referiert die fortgesetzten Untaten aus verschiedenen Quellen ohne eigenen Augenschein. Der Dichter dagegen ist sich nicht sicher. Im Bahnhof Venedig fand er sieben Jahre zuvor zwei Augenpaare auf sich gerichtet. Es kam ihm vor, als seien ihm die beiden jungen Männer, die, wie er sich nicht nur einbildete, zu ihm herüberschauten, seit seiner Ankunft in Venedig schon mehrfach begegnet. In Verona nahm er im tiefen Schatten der jenseitigen Hälfte der Arena zwei Gestalten wahr, bei denen es sich bei genauerem Hinsehen zweifellos um die beiden jungen Männer aus der Ferrovia handelte. Nun, da feststeht, daß die ORGANIZZAZIONE LUDWIG gerade nur aus zwei jungen Männern bestanden hatte, sind gleichwohl alle Möglichkeiten offen. Man mag nach wie vor paranoide Anwandlungen diagnostizieren und bezweifeln, daß es immer die gleichen Augenpaare waren, es mögen die immer gleichen Augenpaare harmloser Touristen gewesen sein, oder aber die Augen Abels und Furlans, den Dichter als einen weiteren Gottesverräter im Visier.
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