Mittwoch, 1. Mai 2019

Planung

Sabotage

Der ursprüngliche Plan für die zweite Italienreise im Jahre 1987 war einfach und übersichtlich, ein kurzer Aufenthalt in Venedig, vielleicht nicht ganz so kurz, wie er dann tatsächlich war, Weiterfahrt nach Verona mit Unterbrechung in Padua zwecks Betrachtung der Giotto-Fresken, in den ausgehenden Sommermonaten dann verschiedene Arbeiten in Verona, die Oktoberwochen in einem Hotel oberhalb von Bruneck, am Ende der Vegetation. Am Zielort Verona angekommen, ist der Reisende aber unfähig sich zu rühren und außerstande auszusteigen. Kafka, der 1913 auf der gleichen Strecke unterwegs war von Venedig zum Gardasee, besser gesagt Kafkas Geist hat die Regie über den weiteren Reiseverlauf übernommen. In Desenzano begrüßt er den Reisenden mit dem Graffito Il cacciatore an der Wand des Bahnhofspissoirs, der Erzähler bestätigt mit der Ergänzung nella selva nera, Roger, Over and Out. Für die Weiterfahrt nach Riva dann stellt Kafka ein Doppelgängerpaar seiner selbst zur Verfügung, aber der Plan mit den beiden ebenbildlichen Knaben als Eskorte geht nicht auf, vielmehr gerät der Dichter in den Verdacht, ein zu seinem Vergnügen in Italien reisender englischer Päderast zu sein, und verläßt den Bus entnervt bereits in Limone. Oder war das das der Plan, wollte Kafka ihm die beglückende Zusammenkunft mit Luciana Michelotti bescheren und ihm zugleich vor dem Anblick der Barke bewahren, die bereits Mme Gherardi und Stendhal zur Flucht veranlaßt hatte? – Wie dem auch sei, bei der Geschichte mit dem verlorenen Paß, die die Reiseplanung erneut außer Kraft setzt, hatte Kafka seine Hände wohl nicht im Spiel. Statt nach Verona geht es zunächst nach Mailand, dann aber, den neuen Paß in der Brusttasche, durcheilte der Zug das dunkle Land in kürzester Zeit zum ursprünglichen Ziel, ohne Zögern steigt er diesmal aus. In Verona macht Kafka sich erneut bemerkbar, indem er aus einem Hinterhaus von zwei Männern eine Bahre hinaustragen läßt, auf der unter einem blumengemusterten Tuch ein Mensch lag, unverkennbar der Jäger Gracchus. Das hindert den Dichter aber nicht, der ursprünglichen Absicht der Reise nachzugehen, nämlich die schemenhaften Erinnerungen an die erste Reise, sieben Jahre zuvor, zu überprüfen und vielleicht einiges davon aufzuschreiben. Er forscht in der Biblioteca Civica, sucht die inzwischen geschlossene Pizzeria Verona auf und läßt sich von Salvatore Altamura die weiteren Taten der Gruppe Ludwig berichten. Privatissime et gratis erläutert Altamura dann noch die Tradition der Aida-Aufführungen in der Veroneser Arena, und das wiederum erlaubt dem Dichter, noch einmal auf Kafka zurückzukommen, dem, als er schon auf dem Strebebett liegt, Werfel ein ihm gewidmetes Exemplar seines Verdi-Romans schenkt. – Ohne die von Kafka auf unterschiedliche Weise initiierten, die Planung sabotierenden Umwege, wäre, soviel läßt sich ohne weiteres sagen, der Erlös der zweiten Reise spürbar weniger reich ausgefallen.

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