Sonntag, 8. Mai 2022

Urlaubsinseln

Unvollendet

Das von ihm so genannte Ferienvolk ist, um es vorsichtig auszudrücken, die dem Dichter am wenigsten nahestehende Menschengattung, gleichzeitig aber erleben wir ihn so gut wie nur auf Reisen. Erkennbar sind es aber ganz überwiegend Erkundungs- und keine vermeintlichen Erholungsreisen. Oft denkt er auch, er sei besser zuhaus geblieben bei seinen Landkarten und Fahrplänen. In Wien aber hält er sich eingestandenermaßen auf in der Hoffnung, durch eine Ortsveränderung über eine besonders ungute Zeit hinwegzukommen, eine Hoffnung, die diese Urlaubsreise, wenn man sie denn so nennen will, in keiner Weise erfüllt. Ganz anders ist der Verlauf Jahre später in Limone. Die Urlauber sitzen allesamt draußen auf der Terrasse, er allein in der Gaststube mit Blick nach draußen und beschäftigt mit seinen Papieren und Aufzeichnungen. Das Schreiben geht ihm mit erstaunlicher Leichtigkeit von der Hand. Luciana reicht ihm in regelmäßigen Abständen einen Express (coffi bach) und ab und zu ein Toastbrot. Sie schaut ihm dann jeweils über die Schulter und interessiert sich für seine Arbeit. Es ist die perfekte Fusion von Arbeit und Erholung, so perfekt, daß es nicht andauern kann, am nächsten Tag schon entscheidet er sich für die Weiterfahrt. Sogenannte Urlaubsinseln hat der Dichter in seinen veröffentlichten Büchern nicht aufgesucht, später dann gelangt er nach Korsika, aber auch das nur für bestimmte Recherchen und nicht zum Zweck der sogenannten Erholung. Nun wenden wir uns ab von ihm und schauen auf Rudolf, seinen Nachnamen kennen wir nicht. Das verfügbare Material ist vollständig und parat, nichts ist dringlicher als die geplante Niederschrift der Mendelssohn Bartholdy betreffenden Studie endlich in Angriff zu nehmen, solange aber Rudolfs Schwester bei ihm in Peiskam logiert ist das unmöglich, er fiebert ihrer Abreise entgegen. Als die Schwester endlich abgereist ist, erweist sich die plötzliche Leere als nicht weniger vernichtend für das Projekt, es bleibt nur die Flucht nach Palma de Mallorca, dem ihm wohlbekannten Ort, Mallorca die Ferieninsel schlechthin. Eine Sonderbewirtung, ähnlich der des Dichters in Limone, kann er nicht erwarten, das Luxushotel bewahrt ihn aber vor Störungen durch umtriebige Sommergäste. Die Unterlagen sind bereits ausgebreitet, das Schreibgerät parat, bevor er sich an die Niederschrift der Studie macht, muß er allerdings dem Friedhof noch einen Besuch abstatten und nach einem bestimmten Grab schauen. Bei seinem letzten Aufenthalt hatte ihm eine junge Frau aus Deutschland vom Tod ihres Mannes wenige Tage zuvor berichtet, er war vom Balkon des schlichten aber hochaufragenden Hotels in die Tiefe gestürzt und auf den Beton, zugleich der Titel des Buches, geschlagen, unklar, ob es ein Unfall oder doch Absicht war. Wie sich zeigt, hat die zunächst nur provisorische Grabtafel jetzt, einige Jahre später, ihre endgültige Gestalt angenommen, wo zunächst Hanspeter Härtl zu lesen war, liest man nun Anna und Hanspeter Härtl. Die junge Frau war bald schon ihrem Mann in den Tod gefolgt. Wieder im Hotel nimmt Rudolf mehrere Schlaftabletten ein und erwacht sechsundzwanzig Stunden später in höchster Angst. Als Gestalt Bernhards konnte er in seinen Bemühungen naturgemäß nur scheitern. Es gibt keinerlei Hinweis, daß die Mendelssohn Bartholdy betreffende Studie jemals fertiggestellt wurde. Urlaubsinseln sind den Menschen letztendlich weit weniger zuträglich als angenommen.

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