Vor dem
Einschlafen schlägt Louise Erdrich Sebalds Austerlitz auf, um noch für
eine Weile zu lesen. Sie liest, wie sie sagt, die erste Seite halb und dann noch einmal die
halbe Seite, dann die zweite Hälfte und dann die ganze Seite, zweimal. Die
Inhalte der Lektüre werden zunächst nicht offenbart, es geht allein um die die Art des
Schreibens. Womöglich hat sie wenige Seiten später bei der Begegnung mit dem
Waschbären im Nocturama staunend die Lektüre fürs erste abgebrochen: Der Waschbär saß
mit ernstem Gesicht bei einem Bächlein und wusch immer wieder denselben
Apfelschnitz, als hoffe er, durch dieses weit über jede vernünftige
Gründlichkeit hinausgehende Waschen entkommen zu können aus der falschen Welt,
in die er gewissermaßen ohne sein eigenes Zutun geraten war. Wer möchte bei diesem Text
nicht verwundert und staunend zumindest eine Lesepause einlegen? Später geht es
weiter, diesmal im Bahnhof Antwerpen, der sich seinerseits als Nocturama erweist, ein Nocturama für Menschen. Ein
unterweltliches Dämmern erfüllte den Wartesaal, darin reglos und stumm ein paar
Reisende. Ähnlich wie die Tiere, unter denen es auffällig viele Zwergrassen
gab, schienen auch die Reisenden irgendwie verkleinert, vermutlich wegen der
dichter werdenden Düsternis. In dem Buffetraum war ein einsamer Fernet-Trinker
zu erkennen und die Buffetdame, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf
einem Barhocker hinter dem Ausschank thronte. Dann aber betritt Austerlitz den
Saal, ein jugendlich wirkender Mann mit blondem, seltsam gewirkten Haar. Die
Dunkelheit scheint verscheucht, ein Trugschluß, das Buch Austerlitz
handelt ganz überwiegend von der Dunkelheit im Leben des Protagonisten.Wird er je noch die helle Seite des Lebens erreichen?
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