Śnieg
Die Erwartungen
der Menschen an den Winter und den Schnee sind unterschiedlich. Der Dichter, noch ein Knabe, dachte an den
Winteranfang in den Bergen, an die vollkommene Lautlosigkeit und an den Wunsch,
daß alles zuschneien möge, das ganze Dorf und das Tal bis zu den obersten Höhen
hinauf. Aus Rußland hörte er als erwachsener Mann von einer älteren Dame, die die meiste Zeit auf
dem Kanapee lag und sich dabei einer eisernen Konstitution erfreute. Sie schlief immer
bei sperrangelweit offenen Fenster, so daß sie eines Morgens, nachdem draußen
die ganze Nacht gestürmt hatte, unter einer Schneedecke erwachte, ohne dadurch
auch nur den geringsten Schaden zu nehmen. Was den Knaben anbekangt, ist nicht recht klar, ob er im Heimatdorf erholsame Stille erwartete oder einen stiller Tod. Die robuste Russin war Überlegungen
dieser Art gar nicht erst ausgesetzt. Ihr Landsmann Tolstoi hat die ganze Breitweite des Winters mit den extremen
Polen von Glück und Verderben im Schnee vorgeführt. Nie fühlte Natascha Rostow sich seliger
als bei der Heimfahrt im Schlitten mit ihrem Bruder Nikolai (Война
и миръ), nie war der Tod näher als bei der Fahrt des Handlungsreisenden
im Schneesturm (Метель). Korzeniowski, bekannt auch als Joseph Conrad,
besucht nach langer Abwesenheit wieder seine heimatliche Ukraine. Als der
Schlitten anruckte, begann für ihn eine Wintereise zurück in die Kindheit. Eine
große, rote Scheibe senkte sich in der Dämmerung in den Schnee, als ginge sie
unter über dem Meer. Der Sternenhimmel grenzte an die weiße Wüste, in der wie
Schatteninseln die von Bäumen umstandenen Dörfer trieben. Korzeniowski hatte den
Vorteil eins absolut streckensicheren Schlittenkutschers, der ihn ohne
Schwierigkeiten zum Ziel führte. Wiederum anders ist Praderas Lage, er
verändert Maria Rodziewiczównas Buchtitel
Lata lesnych ludzi (Sommer der Waldmenschen) in Zima lesnych ludzi
(Winter der Waldmenschen), das ist nicht weiter verwunderlich, ist er doch
selbst zu dieser Zeit als Holzfäller im Winter tätig. Die Begegnung mit den Wilderern im Schnee
ist nicht ganz ohne Gefahr, wird aber bewältigt. Ernstliche Schwierigkeiten bereitet Pradera der
Nebel, mgła, der kein Wetterphänomen, sondern eine psychische Belastung ist. Als es ihn nach getaner Arbeit heimwärts zieht, wählt er für den Weg zum Bahnhof die Abkürzung
durch die Felder. Ein immer intensiveres Schneetreiben vereint sich mit dem psychischen
Nebel, mgła, zwei ganz unterschiedliche und doch glicherweise zerstörerische Quellen. Es wird ernst, Pradera verliert die Übersicht. Sein Tod im Schnee wird nicht bestätigt, sein Überleben auch nicht.