Icherzähler
Der Icherzähler ist eine verbreitete Figur in der erzählenden Prosa, eine Figur, die der Dichter ständig in Anspruch nimmt, abgesehen von zwei kurzen, einmal Stendhal und zum anderen Kafka betreffenden selbständigen Erzählungen im Rahmen der Schwindel.Gefühle. Die Erscheinungsbilder des Icherzählers in der Literatur sind durchaus unterschiedlich. Антон Лаврентьевич Г., der Icherzähler in Dostojewskis Бeсы, erhebt mit einiger Nonchalance den Anspruch eines allumfassenden Erzählers, auch wortwörtliche Zweiaugengespräche etwa zwischen Ставрогин und Кириллов, von denen er im einzelnen gar nichts wissen kann, rechnet er sich zu. Dostojewski geht unbekümmert, wenn nicht gar provokant darüber hinweg. Kriminalromane haben ungefähr zu Hälfte einen Icherzähler und Chandlers Philip Marlowe ist der unbestrittene Protagonist des Genres, von ihm wird erwartet, daß sich anfängliche Unkenntnis nach einigen Irrwegen in umfassende Kenntnis wandelt. Der Dichter ist diesem Genre nicht besonders zugetan, und auch wenn er Luciana wissen läßt, er schreibe grade an einem Kriminalroman, kommt er damit Marlowe nicht näher. Man weiß nicht, ob er nur scherzt oder worin dieser Roman besteht und ob und wo er veröffentlicht wurde. Anders als Антон Лаврентьевич Г. erwähnt der Dichter nicht seine Stellung und Funktion als Icherzähler, das ergibt sich ohne weiteres von selbst. Auf seiner ersten Reise nach Italien macht er Station in Wien und hat dort, so seine Worte, niemanden mit dem er sprechen kann. Das ändert sich in Venedig kaum, abgesehen von den durchaus reichhaltigen, wenn auch einseitigen Gespräch mit dem dozierenden Malachio. Auf der zweiten Italienreise, sieben Jahre später, hat er hinreichend Gesprächspartner, Luciana, Salvatore, schließlich die Franziskanerin und das junge Mädchen mit der Jacke um die Schultern, ihr Schweigen ist ein Gespräch besonderer Art. Das gilt auch für die Menschen in den Bibliotheken, die in aller Stille ihrer Arbeit nachgehen, schweigsame Partner. Anders als bei der ersten Reise entsprechend vorbereitet und ausgestattet, übernimmt das immer schweigsame Schreiben auch für den Dichter mehr und mehr die lautlose Gesprächsführung. In den Schwindel.Gefühlen, genauer gesagt in All’estero, ist der Narratore in prima persona, also der Dichter, selbst der Protagonist, eine Rolle, die ihn so gut kleidet, daß man in diesem seinem ersten Prosastück durchaus das Meisterwerk sehen kann. Eine lineare Fortsetzung dieses Ansatzes wäre gleichwohl verfehlt gewesen, die Ringe des Saturn sind in dieser Hinsicht schon erheblich reduziert in den Ausgewanderten sowie in Austerlitz ist die leitende Position des Erzählers weiter eingeschränkt, ohne daß allerdings seine Funktion als Icherzähler in Frage gestellt wäre.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen