Skelett einer Erzählung
Wir halten am Brenner, es steigt niemand aus und es steigt niemand ein. Ist das das Ende der Erzählung? Nein, sieben Jahre später macht er sich wieder auf den Weg nach Venedig, um die zum Teil rätselhaften Ereignisse des ersten Besuchs zu klären. Es folgt eine Reihe von Geschehnissen, die den Blick scheinbar verdunkeln, tatsächlich aber erhellen. Wegen eines Mißverständnisses, daß die Atmosphäre unter dem Passagieren trübt, verläßt er den Bus vorzeitig und erreicht auf dem Fußweg das von einer gewissen Luciana Michelotti betriebene Hotel Sole. Tags darauf sitzt er mit seinen Aufzeichnungen an einem Tisch nahe der offenen Terassentür, Luciana reicht ihm, wie verabredet, in regelmäßigen Abständen einen Espresso und ein Glas Wasser. Sie interessiert sich für seine Aufzeichnungen und schaut ihm neugierig über die Schulter. Als tags darauf sein Paß nicht aufzutreiben und offenbar verloren ist, verwandelt sich das Unglück zugleich ins Glück. Luciana sorgt für das nötige und fährt ihn zur nächstgelegenen Polizeistation. Mit der vorläufig ausgestellten Bescheinigung in der Hand scheint ihm für einen kurzen Augenblick, als habe der Brigadiere sie getraut, und sie könnten miteinander hinfahren, wo sie wollten. Wahr wird es nicht, aber die Erinnerung bleibt. Das glückhafte Erleben, das man nicht erwarten konnte, setzt sich fort im Zug nach Mailand. Das Abteil teilt er mit einer Franziskanerin von vielleicht dreißig oder fünfunddreißig Jahren und einem junges Mädchen mit einer aus vielen farbigen Flecken geschneiderten Jacke um die Schultern. Die Schwester las ihr Brevier, das Mädchen, nicht minder versenkt, einen Bilderroman. Von vollendeter Schönheit waren sie beide.Vom Besuch des Konsulats in Mailand erwartete er abgesehen vom neu ausgestellten Paß nichts Besonderes und täuschte sich zu seinen Gunsten. Im Wartezimmer ist eine Artistenfamilie versammelt, die Mutter, die Töchter, entscheidend ist aber das Oberhaupt der kleinen Truppe, der Vater. Er trägt einen weitkrempigen Strohhut gleich dem des San Giorgio in Pisanellos Gemälde Giorgio Santini. Jeder kann sich seinen Reim machen. In Verona scheint das Glück zu versagen, die Biblioteca Civica ist geschlossen. Sie ist geschlossen und gleichzeitig geöffnet, der Bibliotheksangestellte, ein älterer Herr, läßt ihn ohne Zögern ein und beschafft ihm die gewünschten Bücher, bald gegen beide ungestört ihren Interessen nach. Hauptsächlich geht es in Verona um die verabredete Begegnung mit Salvatore, der das weitere Treiben der sogenannten Gruppe Ludwig verfolgt hatte. Wie sich inzwischen gezeigt hatte, bestand die Gruppe aus lediglich zwei Jugendlichen, Furlan und Abel, weitaus reicher aber die Zahl der von ihnen umgebrachten Menschen, unter anderem hatten sie ein Pornokino in Brand gesetzt und sechs Besucher des Kinos umgebracht. Nicht ohne Anlaß hatten ihn die zwei Augenpaare sieben Jahre zuvor aus Verona und Italien fliehen lassen.
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