Sonntag, 25. Dezember 2016

Frau am See

Versehen

 
In Montreux am Genfersee war er auf eine tagtäglich auf einer Parkbank am Ufer sitzende Dame aufmerksam geworden. Zweimal morgens ist ein Auto am Ufer vor ihr stehengeblieben und ein junger uniformierter Mann ist ausgestiegen und hat ihr Zeitungen gebracht. Manchmal winkte sie einem Vorübergehenden zu. Die Dame ist in mehrere Wolldecken eingewickelt gewesen. Wahrscheinlich ist sie eine dieser reichen und vornehmen Schweizerinnen gewesen, die im Winter am Genfersee leben, während ihre Geschäfte auf der ganzen übrigen Welt weitergehen, hatte er gedacht. Es war immer sie, die auf dieser Bank gesessen war, und so war das Erste, was ihm auffiel, daß sie dieses Mal nicht die Zeitung, sondern ein Buch in der Hand hielt und zwar Nabokows Lebenserinnerungen. Er hob den Blick, es war eine andere. Als er ein zweites Mal an ihr vorübergegangen war, hatte er sie mit einer ans Extravagante grenzenden Höflichkeit auf diese ihre Lektüre hin angesprochen und von da an den ganzen Tag sowie die ganzen folgenden Wochen hindurch in seinem ein wenig altmodischen, aber überaus korrekten Französisch die einnehmendste Konversation mit ihr gemacht. So war sie durch ein Versehen, einen Umweg seine Vertraute, sein Halt im Leben geworden.

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