Hüftleiden
Der Mann der trunksüchtigen Rosina Zobel, der alte Engelwirt, war seit Jahren bettlägrig. Es hieß, er liege in dem an das Zimmer der Rosina angrenzenden Raum, an der Hüfte habe er eine große Wunde, die nicht verheilen wolle. Von einer ärztlichen oder krankenpflegerischen Betreuung ist nicht die Rede, auch eine tiefer gehende Diagnose und eine genauere Beschreibung der Wunde fehlen. Vermutlich aber ist die Wunde als handtellergroß zu denken, rosa mit vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend an den Rändern, zartkörnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelnden Blut, offen wie ein Bergwerk obertags – eine Wunde, wie sie vor langen Jahren auch schon der Junge hatte, in dem Haus gleich hinter dem Hoftor, wund in der Hüftgegend auch er. An medizinischem Personal für eine entsprechende verläßliche Feststellung fehlte es im Falle des Engelwirts nicht. Der ortsansässige Landarzt war allerdings nicht von der Art, daß er auf das verhängnisvollen Fehlläuten einer Nachtglocke hereingefallen wäre, er rückte nur aus bei seriösen Anforderungen. Und dennoch, zu jeder Tages- und Abendstunde sah man ihn auf seiner Zündapp im Dorf herum oder bergauf und bergab zwischen den umliegenden Ortschaften hin und her fahren, das Motorrad letztlich zuverlässiger als ein Pferd. Winters wie sommers trug der Dr. Piazolo, der in Notfällen ohne weiteres auch Veterinärgeschäfte zu übernehmen bereit war und der offenbar den Vorsatz gefaßt hatte, im Sattel zu sterben, eine Fliegerhaube mit Ohrenklappen, eine ungeheure Motorradbrille, eine lederne Montur und lederne Gamaschen. Desgleichen war der Gemeindepfarrer Wurmser nicht der Typus, der still daheim sitzend die Meßgewänder zerzupft hätte, die Meßgewänder wurden in seiner Pfarrei vielmehr besonders geschont, da Wurmser ihnen die Lederkombi bei weitem vorzog. Wie der Dr. Piazolo machte er seine Versehgänge die längste Zeit schon mit dem Motorrad, wobei er das Versehgerät, das Salböl, das Weihwasser, das Salz, ein kleines silbernes Kruzifix sowie das Allerheiligste Sakrament in einem alten Rucksack mit sich führte. Man ist versucht, von Amtsbrüdern zu sprechen, so als könne im Bedarfsfall der eine den anderen auf dessen Spezialgebiet ohne größere Umstände ersetzen. Weit entfernt waren sie jedenfalls, sich übereinander zu beklagen, keine Rede davon, daß der alte Glauben verloren sei und der Arzt nun alles leisten solle mit seiner zarten chirurgischen Hand – eine Vorstellung ohnehin gänzlich unpassend, was die Hände des Dr. Piazolo anbelangt.
Auf keinen Fall auch ist es die Frage der Nachtglocke und ihres möglichen Fehlläutens, die dem Engelwirt zum Verhängnis wurde, die Rosina hätte jederzeit Untersuchungs- und Behandlungstermine für den hellichten Tag vereinbaren können, sie hat es aber nicht gewollt oder nicht gekonnt und jedenfalls nicht getan. Der noch knabenhafte Dichter sieht die Misere und will versuchen, den konkurrierenden urbanen Landarzt Dr. Rambousek zu bewegen, die offene und immer größer werdende Wunde des alten Engelwirtes zu heilen. Ein adäquater Ansatz, der aber zu spät kommt, Rambousek lag mit dem Oberkörper vornübergesunken auf der Schreibtischplatte mit bewegungslos starrenden, halb hervorgetretenen Augen. Später dann mit wachsender Entfernung schien es ihm, dem Dichter, immer unwahrscheinlicher, daß der Engelwirt tatsächlich krank im Raum hinterm Zimmer der Rosina gelegen war. Dann allerdings würde sich die bange Frage erheben, was geworden ist aus dem Engelwirt, den es nachweislich ja gegeben hat, wann und wie er ums Leben kam, und wer seine Leiche beiseite geschafft hat.
Der Mann der trunksüchtigen Rosina Zobel, der alte Engelwirt, war seit Jahren bettlägrig. Es hieß, er liege in dem an das Zimmer der Rosina angrenzenden Raum, an der Hüfte habe er eine große Wunde, die nicht verheilen wolle. Von einer ärztlichen oder krankenpflegerischen Betreuung ist nicht die Rede, auch eine tiefer gehende Diagnose und eine genauere Beschreibung der Wunde fehlen. Vermutlich aber ist die Wunde als handtellergroß zu denken, rosa mit vielen Schattierungen, dunkel in der Tiefe, hellwerdend an den Rändern, zartkörnig, mit ungleichmäßig sich aufsammelnden Blut, offen wie ein Bergwerk obertags – eine Wunde, wie sie vor langen Jahren auch schon der Junge hatte, in dem Haus gleich hinter dem Hoftor, wund in der Hüftgegend auch er. An medizinischem Personal für eine entsprechende verläßliche Feststellung fehlte es im Falle des Engelwirts nicht. Der ortsansässige Landarzt war allerdings nicht von der Art, daß er auf das verhängnisvollen Fehlläuten einer Nachtglocke hereingefallen wäre, er rückte nur aus bei seriösen Anforderungen. Und dennoch, zu jeder Tages- und Abendstunde sah man ihn auf seiner Zündapp im Dorf herum oder bergauf und bergab zwischen den umliegenden Ortschaften hin und her fahren, das Motorrad letztlich zuverlässiger als ein Pferd. Winters wie sommers trug der Dr. Piazolo, der in Notfällen ohne weiteres auch Veterinärgeschäfte zu übernehmen bereit war und der offenbar den Vorsatz gefaßt hatte, im Sattel zu sterben, eine Fliegerhaube mit Ohrenklappen, eine ungeheure Motorradbrille, eine lederne Montur und lederne Gamaschen. Desgleichen war der Gemeindepfarrer Wurmser nicht der Typus, der still daheim sitzend die Meßgewänder zerzupft hätte, die Meßgewänder wurden in seiner Pfarrei vielmehr besonders geschont, da Wurmser ihnen die Lederkombi bei weitem vorzog. Wie der Dr. Piazolo machte er seine Versehgänge die längste Zeit schon mit dem Motorrad, wobei er das Versehgerät, das Salböl, das Weihwasser, das Salz, ein kleines silbernes Kruzifix sowie das Allerheiligste Sakrament in einem alten Rucksack mit sich führte. Man ist versucht, von Amtsbrüdern zu sprechen, so als könne im Bedarfsfall der eine den anderen auf dessen Spezialgebiet ohne größere Umstände ersetzen. Weit entfernt waren sie jedenfalls, sich übereinander zu beklagen, keine Rede davon, daß der alte Glauben verloren sei und der Arzt nun alles leisten solle mit seiner zarten chirurgischen Hand – eine Vorstellung ohnehin gänzlich unpassend, was die Hände des Dr. Piazolo anbelangt.
Auf keinen Fall auch ist es die Frage der Nachtglocke und ihres möglichen Fehlläutens, die dem Engelwirt zum Verhängnis wurde, die Rosina hätte jederzeit Untersuchungs- und Behandlungstermine für den hellichten Tag vereinbaren können, sie hat es aber nicht gewollt oder nicht gekonnt und jedenfalls nicht getan. Der noch knabenhafte Dichter sieht die Misere und will versuchen, den konkurrierenden urbanen Landarzt Dr. Rambousek zu bewegen, die offene und immer größer werdende Wunde des alten Engelwirtes zu heilen. Ein adäquater Ansatz, der aber zu spät kommt, Rambousek lag mit dem Oberkörper vornübergesunken auf der Schreibtischplatte mit bewegungslos starrenden, halb hervorgetretenen Augen. Später dann mit wachsender Entfernung schien es ihm, dem Dichter, immer unwahrscheinlicher, daß der Engelwirt tatsächlich krank im Raum hinterm Zimmer der Rosina gelegen war. Dann allerdings würde sich die bange Frage erheben, was geworden ist aus dem Engelwirt, den es nachweislich ja gegeben hat, wann und wie er ums Leben kam, und wer seine Leiche beiseite geschafft hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen