Donnerstag, 5. Januar 2017

Seelos

Genugtuung

Faulkner verstreut die Angehörigen der Sartorisfamilie über eine ganze Reihe von Romanen, die Seelos haben wir in Ritorno in Patria eng beieinander, so eng, daß genealogischen Verhältnisse zum Teil ein wenig verschwommen sind. Der Baptist Seelos ist in gewissem Sinne der Patriarch der Sippe. Mit seiner Frau Maria hat er die gemeinsamen Kinder Lena, Benedikt, Lukas und Regina. Als Baumeister von internationalem Ruf, der sogar in Konstantinopel tätig war, hat er gutes Geld verdient, ist dann aber schon in recht jungen Jahren gestorben. Seine Witwe, die Maria, eine schwere und langsame Frau, hat ihre Tage fortan mit dem Kaffeesieden nach türkischer Art verbracht. Bei der Bina, der Babett und der Mathild handelt es sich wohl, obwohl nicht ausdrücklich gesagt, um die Schwestern des Baptist, die nach dessen Tod ebenfalls von seinem Vermögen gelebt haben. Der Seelos Peter, wohl der Bruder des Baptist, hat sein Geld zunächst als Wagner verdient, ist dann aber immer wunderlicher geworden und schließlich ins Spital nach Pfronten eingeliefert worden. Obwohl die Schwestern und der Bruder des Baptist unverheiratet und kinderlos geblieben sind, hätte man doch vermutet, die Sippe habe sich in der Folge stattlich vermehrt. Tatsächlich aber ist der Lukas, verheiratet aber kinderlos, bei der Rückkehr des Erzählers in sein Heimatdorf der einzig überlebende Seelos, abgesehen von der nach Norddeutschland verheirateten Regina; Norddeutschland, das ist weiter aus der Welt als der Mond, den man in klarer Nacht wenigstens zu Gesicht bekommt. Die Lena hat zunächst im Ort noch mit dem Kind von einem Türken niedergekommen, das zur allgemeinen Erleichterung sogleich verstorben ist; wenige Jahre später ist die Lena dann selbst in Amerika bei einem Autounfall ums Leben gekommen, Gottes Mühlen mahlen ab und zu schneller als gedacht. Den Benedikt, der ein furchtsames Kind gewesen ist, habe sein Unheil aufgefressen, mehr will der Lukas dazu nicht sagen.

Ein kleines Haus mit einem geschindelten, vielfach geflickten, für die Gegend ganz ungewöhnlichen Walmdach, das einem auf der Hügelkuppe gestrandeten Schiffchen gleichsah. Kam man daran vorbei, schaute immer grad der Vater der Romana, der ein verschmitzter Mensch gewesen ist, wie der Noah aus der Arche zu einem der winzigen Fenster heraus und rauchte einen Stumpen. Nicht weit davon ein großes Haus mit vielen, in der Dämmerung von innen schon beleuchteten Fenstern und hinter jedem Fenster ein Mitglied der Seelosfamilie. Einige der Fenster betrachtet der Dichter länger, auf andere wirft er nur einen kurzen Blick. Er könnte auf sie zurückkommen, in einem anderen Buch vielleicht sogar, ihnen mehr Statur verleihen. So könnte er etwa den Lukas überreden, ihm noch einiges mehr vom Benedikt zu erzählen, allerdings ist es nicht seine Art, die Gewährsleute zu bedrängen, er begnügt sich eigentlich immer mit dem, was ihm bereitwillig berichtet, wenn nicht gar, wie bei Austerlitz, geradezu aufgedrängt wird.

Die Erzählung Ambros Adelwarth beginnt mit einer Familienfeier der Angehörigen des Erzählers, ähnliche Gemeinschaftsaktivitäten der Seelosfamilie erleben wir nicht, abgesehen von dem bizarren Schwesternpaar Bina und Babett ist jeder separat für sich. Der schöne Name, Seelos, und der freundliche, geradezu ein wenig verschmitzte Erzählton, die epische Freude, die sich einstellt, verdecken lange, daß auf engem Raum vom nahezu restlosen Verfall einer Familie berichtet wird. Seelos heißt eigentlich nur das Haus, das sie bewohnen, nach ihm wurden die Insassen von den Dorfbewohnern benannt. Der eigentliche Familienname ist Ambroser. Das klingt viel widerstandfähiger und wehrhafter, ohne daß es ihnen nützen würde. Jetzt sei er an der Reihe bemerkt der Lukas, nachdem er vom Benedikt berichtet hat, und zieht damit nicht ohne Genugtuung und mit einer gewissen, einem Ambroser gemäßen Heldenhaftigkeit einen Schlußstrich unter die Familiengeschichte.

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