Privatklöster
Wohin gehen die Mönche, fragt Sloterdijk, wohin gehen sie heute, da kein öffentlicher Bedarf mehr an ihrer Berufsgruppe besteht. Am Anfang waren sie in die syrische Wüste gegangen. In der Wüste ist die wahrnehmbare Welt gleichsam auf ihrem Nullpunkt, und so ist es einfach, sie aus dem Dreiecksverhältnis von Welt, Mensch und Gott zu entfernen, um so, hoch oben auf der Säule, in extremer Askese die innigstmögliche Zweisamkeit von Mensch und Gott zu erreichen. Eine Einschränkung besteht darin, daß die Styliten als zu bestaunende Glaubensartisten eine Art frühen Wüstentourismus auslösten und die Welt damit zurückholten an den Sockel der Säule. Bei Kafkas Hungerkünstler dann hat nur noch das Zirkusmoment überlebt. Im Gang der Geschichte wurden die extravaganten Einzelkünstler des Glaubens abgelöst durch die insgesamt moderatere Form der christlichen Ordensgemeinschaften. Inzwischen aber sind auch die Klöster, gemessen an ihrer großen Vergangenheit, bedeutungslos.
Benn teilte die Bevölkerung, bei ausgeschlossenem Dritten, in Mönche und Verbrecher, die meisten würden konzilianter von Tatmenschen sprechen. Die Verbrecher sind innerhalb Benns strenger Ordnung zweifellos in der Überzahl, ohne daß andererseits die Zahl der mönchisch Veranlagten gering wäre. Wohin aber gehen die Mönchsanwärter, die sich die regulären Klöster nicht mehr zumuten wollen? Sebald, dessen Prosa fast ausschließlich Menschen bewohnen, die dem Mönchslager zuzurechnen sind, eröffnet ihnen Perspektiven. Le Strange verwandelt seinen Gutshof in ein Privatkloster mit ihm selbst als einzigem Insassen (die Haushälterin Florence Barnes ist der Ordensdisziplin mit Ausnahme des Schweigegelübtes bei Tisch nicht unterworfen). Ständig umgeben von Federvieh am Boden und in der Luft nähert er sich dem Erscheinungsbild des heiligen Franziskus, bis heute der populärste mittelalterliche Ordensvater, und erreicht schließlich als Höhlenbewohner über die Ähnlichkeit mit dem heiligen Hieronymus den Status eines spätantiken Anachoreten. Le Strange repräsentiert in seiner Person und seinem Verhalten wesentliche Etappen des europäischen Mönchstums, so wie Tiere – darunter Menschen – anatomische Erinnerungen an vergangene evolutionäre Stadien mit sich tragen.
Wem aber wendet sich der im Zweifelsfall gottloser Mensch unserer Tage zu, wenn er sich von der Welt abgewandt hat? Auch Houellebecqs Jed Martin bezieht sein Privatkloster, das Klostergebäude ist bescheidener als das Le Stranges, der umgebende Zaum umso eindrucks- und wirkungsvoller. Die Menschheit ist ausgeschlossen, die Kunst ist zugelassen, ein Drittes ist also da, die Produktion nicht für die Öffentlichkeit bestimmter Kunstwerke setzt Martin auch in seinem Kloster fort. Das führt uns zu Sebalds Maler Aurach, der sein Atelier zur Mönchszelle macht, allerdings im offenen Vollzug sozusagen, Freunde können ihn besuchen, sein Abendbrot ißt er in einem von einem Massaihäuptling geleiteten Restaurant. Zur Glückseligkeit verhilft die Kunst den Malern nicht. Sloterdijk zitiert Nietzsche, demzufolge die Kunst lediglich dabei helfe, an der Wahrheit nicht zugrunde zu gehen, und es ist noch nicht einmal sicher, ob das für den Künstler gilt oder für uns, die Betrachter, Hörer, Leser. Auf der Rezipientenseite treffen wir Salvatore Altamura als den Bewohner eines immateriellen Klosters. Seinem Bedürfnis zu lesen wisse er um diese Tageszeit einfach keinen Widerstand entgegenzusetzen, er rette sich in die Prosa wie auf eine Insel, wie auf den Berg Athos. Auf Korsika folgt Selysses den Spuren Napoleons, einem der maßgeblichen Verbrecher, die steinernen Burgen in Ajaccio aber scheinen ihm wie geschaffen für anachoretisch gestimmte Bewohner, die sich mit nichts anderen beschäftigen als dem Studium der vergangenen und der vergehenden Zeit – eine denkbar weitgehende Annäherung an die asiatischen Weisheitslehren. Selwyn, Bereyter, Adelwarth, Austerlitz, Garrard e tutti quanti sind, auch wenn sie vielleicht keine offenkundigen mönchischen Merkmale aufweisen, Mönche nach Benns Maßstab. Unter dem Auge des Dichters, das auf allen ruht, bilden sie eine über die Welt verstreute Bruderschaft.
Bei seiner Einteilung hat Benn wohl nur an die Männer gedacht, Frauen sind eine eigene Gattung, naturgemäß keine Mönche, immerhin aber gab und gibt es Nonnen, und die Mathild Seelos ist der einzige Bewohner des Prosawerks mit realer Klostererfahrung. Unmittelbar vor dem ersten Krieg war sie in das Regensburger Kloster der Englischen Fräulein eingetreten, hat das Kloster aber noch vor Kriegsende unter eigenartigen Umständen wieder verlassen. Sie hat sich dann einige Monate lang, in der roten Zeit, in München aufgehalten, bei den Revolutionären, den Verbrechern also, ohne daß es ihr dabei besser ergangen wäre. In einem arg derangierten und fast sprachlosen Zustand ist sie schließlich nach Haus zurückgekehrt, hat aber bald ihr Gleichgewicht wiedererlangt und zu ihrer wahren Gestalt gefunden, die uns so sehr beeindruckt, ohne daß wir sagen könnten, was sie ausmacht, und worin sie besteht.
Wohin gehen die Mönche, fragt Sloterdijk, wohin gehen sie heute, da kein öffentlicher Bedarf mehr an ihrer Berufsgruppe besteht. Am Anfang waren sie in die syrische Wüste gegangen. In der Wüste ist die wahrnehmbare Welt gleichsam auf ihrem Nullpunkt, und so ist es einfach, sie aus dem Dreiecksverhältnis von Welt, Mensch und Gott zu entfernen, um so, hoch oben auf der Säule, in extremer Askese die innigstmögliche Zweisamkeit von Mensch und Gott zu erreichen. Eine Einschränkung besteht darin, daß die Styliten als zu bestaunende Glaubensartisten eine Art frühen Wüstentourismus auslösten und die Welt damit zurückholten an den Sockel der Säule. Bei Kafkas Hungerkünstler dann hat nur noch das Zirkusmoment überlebt. Im Gang der Geschichte wurden die extravaganten Einzelkünstler des Glaubens abgelöst durch die insgesamt moderatere Form der christlichen Ordensgemeinschaften. Inzwischen aber sind auch die Klöster, gemessen an ihrer großen Vergangenheit, bedeutungslos.
Benn teilte die Bevölkerung, bei ausgeschlossenem Dritten, in Mönche und Verbrecher, die meisten würden konzilianter von Tatmenschen sprechen. Die Verbrecher sind innerhalb Benns strenger Ordnung zweifellos in der Überzahl, ohne daß andererseits die Zahl der mönchisch Veranlagten gering wäre. Wohin aber gehen die Mönchsanwärter, die sich die regulären Klöster nicht mehr zumuten wollen? Sebald, dessen Prosa fast ausschließlich Menschen bewohnen, die dem Mönchslager zuzurechnen sind, eröffnet ihnen Perspektiven. Le Strange verwandelt seinen Gutshof in ein Privatkloster mit ihm selbst als einzigem Insassen (die Haushälterin Florence Barnes ist der Ordensdisziplin mit Ausnahme des Schweigegelübtes bei Tisch nicht unterworfen). Ständig umgeben von Federvieh am Boden und in der Luft nähert er sich dem Erscheinungsbild des heiligen Franziskus, bis heute der populärste mittelalterliche Ordensvater, und erreicht schließlich als Höhlenbewohner über die Ähnlichkeit mit dem heiligen Hieronymus den Status eines spätantiken Anachoreten. Le Strange repräsentiert in seiner Person und seinem Verhalten wesentliche Etappen des europäischen Mönchstums, so wie Tiere – darunter Menschen – anatomische Erinnerungen an vergangene evolutionäre Stadien mit sich tragen.
Wem aber wendet sich der im Zweifelsfall gottloser Mensch unserer Tage zu, wenn er sich von der Welt abgewandt hat? Auch Houellebecqs Jed Martin bezieht sein Privatkloster, das Klostergebäude ist bescheidener als das Le Stranges, der umgebende Zaum umso eindrucks- und wirkungsvoller. Die Menschheit ist ausgeschlossen, die Kunst ist zugelassen, ein Drittes ist also da, die Produktion nicht für die Öffentlichkeit bestimmter Kunstwerke setzt Martin auch in seinem Kloster fort. Das führt uns zu Sebalds Maler Aurach, der sein Atelier zur Mönchszelle macht, allerdings im offenen Vollzug sozusagen, Freunde können ihn besuchen, sein Abendbrot ißt er in einem von einem Massaihäuptling geleiteten Restaurant. Zur Glückseligkeit verhilft die Kunst den Malern nicht. Sloterdijk zitiert Nietzsche, demzufolge die Kunst lediglich dabei helfe, an der Wahrheit nicht zugrunde zu gehen, und es ist noch nicht einmal sicher, ob das für den Künstler gilt oder für uns, die Betrachter, Hörer, Leser. Auf der Rezipientenseite treffen wir Salvatore Altamura als den Bewohner eines immateriellen Klosters. Seinem Bedürfnis zu lesen wisse er um diese Tageszeit einfach keinen Widerstand entgegenzusetzen, er rette sich in die Prosa wie auf eine Insel, wie auf den Berg Athos. Auf Korsika folgt Selysses den Spuren Napoleons, einem der maßgeblichen Verbrecher, die steinernen Burgen in Ajaccio aber scheinen ihm wie geschaffen für anachoretisch gestimmte Bewohner, die sich mit nichts anderen beschäftigen als dem Studium der vergangenen und der vergehenden Zeit – eine denkbar weitgehende Annäherung an die asiatischen Weisheitslehren. Selwyn, Bereyter, Adelwarth, Austerlitz, Garrard e tutti quanti sind, auch wenn sie vielleicht keine offenkundigen mönchischen Merkmale aufweisen, Mönche nach Benns Maßstab. Unter dem Auge des Dichters, das auf allen ruht, bilden sie eine über die Welt verstreute Bruderschaft.
Bei seiner Einteilung hat Benn wohl nur an die Männer gedacht, Frauen sind eine eigene Gattung, naturgemäß keine Mönche, immerhin aber gab und gibt es Nonnen, und die Mathild Seelos ist der einzige Bewohner des Prosawerks mit realer Klostererfahrung. Unmittelbar vor dem ersten Krieg war sie in das Regensburger Kloster der Englischen Fräulein eingetreten, hat das Kloster aber noch vor Kriegsende unter eigenartigen Umständen wieder verlassen. Sie hat sich dann einige Monate lang, in der roten Zeit, in München aufgehalten, bei den Revolutionären, den Verbrechern also, ohne daß es ihr dabei besser ergangen wäre. In einem arg derangierten und fast sprachlosen Zustand ist sie schließlich nach Haus zurückgekehrt, hat aber bald ihr Gleichgewicht wiedererlangt und zu ihrer wahren Gestalt gefunden, die uns so sehr beeindruckt, ohne daß wir sagen könnten, was sie ausmacht, und worin sie besteht.
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