Die rechte Art zu lesen
Cioran bekennt, lesen könne und wolle er nur wie eine Concierge, indem er sich mit dem Autor und dem Buch identifiziere, jede andere Art des Lesens sei Leichenfledderei. Wird der Beruf der Concierge noch ausgeübt? In der klassischen Form, die uns etwa aus Simenons Maigret-Romanen vertraut ist, wird die Concierge, ähnlich wie der Schaffner, Gepäckträger oder Schuhputzer, inzwischen ein Opfer des Fortschritts geworden sein. Anders als dem Schaffner, dem Gepäckträger waren ihr lange Stunden der Stille in einem separaten Raum beschieden, wie geschaffen für das Lesen in einer Zeit, als die elektrischen Bildmedien noch nicht ungehindert wüteten. Ciorans bevorzugte Autoren, mit denen er sich stärker noch als mit anderen identifizierte, waren drei Autorinnen, nämlich Teresa von Avila, Charlotte Brontë und Emily Dickinson. Die Gründe für diese Bevorzugung werden nur angedeutet und nicht näher ausgeführt, und schon gar nicht betätigt Cioran sich als philosophischer, theologischer oder literaturwissenschaftlicher Pathologe ihrer Biographien und Werke. In Sebalds Prosawerk ist die klassische Concierge nicht vertreten, sie wäre als eine Unterart innerhalb der Gattung der Empfangsdamen darzustellen. Bei den Empfangsdamen stoßen wir auf keine Leserin. Als Inhaberin eines Antiquariats wäre Penelope Peacefull prädestiniert für die Lektüre, stattdessen löst sie ein Kreuzworträtsel. Die Dame mit der altmodisch gewellten Frisur am Kassentisch im Ghettomuseum Theresienstadt häkelt, die Dame von sehr stattlichem Format in der Casa Bonaparte Ajaccio schlummert. Die verschreckte junge Frau im Viktoriahotel Lowestoft, auf die der Erzähler erst nach längerem Wandern durch die völlig verlassenen Räume stößt, könnte beim Lesen aufgeschreckt worden sein. Aussichtsreichste Kandidatin ist aber die Mesnerin in der Chiesa Sant’Anastasia, die hinter einem Holzverschlag über einen geeigneten Rückzugsraum, wenn nicht über eine Wohnung verfügt. Teresa von Avila könnte ihr den ihrer Stellung gemäßen Lesestoff bieten. Cioran hatte allerdings nicht verfügt, daß Philosoph und Concierge die gleichen Bücher lesen, auf die Art des Lesens kam es ihn an. Auch die junge Nonne und das junge Mädchen mit einer aus vielen farbigen Flecken geschneiderten Jacke um die Schultern im Zug nach Mailand, lesen offenbar auf die rechte Art, die eine im Brevier, die andere einen Bilderroman. Der Dichter bewundert den tiefen Ernst, mit dem sie jeweils die Blätter umwendeten.
Cioran bekennt, lesen könne und wolle er nur wie eine Concierge, indem er sich mit dem Autor und dem Buch identifiziere, jede andere Art des Lesens sei Leichenfledderei. Wird der Beruf der Concierge noch ausgeübt? In der klassischen Form, die uns etwa aus Simenons Maigret-Romanen vertraut ist, wird die Concierge, ähnlich wie der Schaffner, Gepäckträger oder Schuhputzer, inzwischen ein Opfer des Fortschritts geworden sein. Anders als dem Schaffner, dem Gepäckträger waren ihr lange Stunden der Stille in einem separaten Raum beschieden, wie geschaffen für das Lesen in einer Zeit, als die elektrischen Bildmedien noch nicht ungehindert wüteten. Ciorans bevorzugte Autoren, mit denen er sich stärker noch als mit anderen identifizierte, waren drei Autorinnen, nämlich Teresa von Avila, Charlotte Brontë und Emily Dickinson. Die Gründe für diese Bevorzugung werden nur angedeutet und nicht näher ausgeführt, und schon gar nicht betätigt Cioran sich als philosophischer, theologischer oder literaturwissenschaftlicher Pathologe ihrer Biographien und Werke. In Sebalds Prosawerk ist die klassische Concierge nicht vertreten, sie wäre als eine Unterart innerhalb der Gattung der Empfangsdamen darzustellen. Bei den Empfangsdamen stoßen wir auf keine Leserin. Als Inhaberin eines Antiquariats wäre Penelope Peacefull prädestiniert für die Lektüre, stattdessen löst sie ein Kreuzworträtsel. Die Dame mit der altmodisch gewellten Frisur am Kassentisch im Ghettomuseum Theresienstadt häkelt, die Dame von sehr stattlichem Format in der Casa Bonaparte Ajaccio schlummert. Die verschreckte junge Frau im Viktoriahotel Lowestoft, auf die der Erzähler erst nach längerem Wandern durch die völlig verlassenen Räume stößt, könnte beim Lesen aufgeschreckt worden sein. Aussichtsreichste Kandidatin ist aber die Mesnerin in der Chiesa Sant’Anastasia, die hinter einem Holzverschlag über einen geeigneten Rückzugsraum, wenn nicht über eine Wohnung verfügt. Teresa von Avila könnte ihr den ihrer Stellung gemäßen Lesestoff bieten. Cioran hatte allerdings nicht verfügt, daß Philosoph und Concierge die gleichen Bücher lesen, auf die Art des Lesens kam es ihn an. Auch die junge Nonne und das junge Mädchen mit einer aus vielen farbigen Flecken geschneiderten Jacke um die Schultern im Zug nach Mailand, lesen offenbar auf die rechte Art, die eine im Brevier, die andere einen Bilderroman. Der Dichter bewundert den tiefen Ernst, mit dem sie jeweils die Blätter umwendeten.
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