Grande ville
Benn hat die Berufung des Menschen zum ζῷον πολιτικόν als eine bloße Balkanidee abgetan. Luhmann scheint selbst ein wenig verwundert, wenn er Organisationen die Fähigkeit bescheinigt, in ihrem Inneren auch eine größere Zahl von Menschen relativ konfliktfrei beisammen zu halten. Cioran geht das Thema am Beispiel der Stadt mit der ihm eigenen Verve an: Quelque soit la grande ville où le hasard me porte, j’admire qu’il ne s’y déclenche pas tous les jours des soulèvements, des massacres, une boucherie sans noms, un désordre de fin de monde. Comment, sur un espace aussi réduit, tant d’hommes peuvent-ils coexister sans se détruire, sans se haïr mortellement? Girard zufolge sind die Menschen schon an dem ersten Tag, nachdem sie das Affenkleid abgestreift und demgemäß die instinktgesteuerte Tötungshemmung verloren hatten, übereinander hergefallen, nur die willkürliche Bestimmung eines Gruppenmitglieds als Sündenbock und seine rituelle Opferung konnte immer wieder die Aggressionen für eine gewisse Zeit einhegen und die rapide Selbstauslöschung der menschlichen Gattung bis auf weiteres verhindern. Sebald löst das Problem, ohne es zuvor anzusprechen, seinerseits durch eine heimliche aber radikale Auslichtung der Menschenart. Manchester ist eine menschenleere Stadt, Wien ebenso, niemanden hat er dort, mit dem er sprechen kann, bloß mit den Dohlen in den Anlagen vor dem Rathaus hat er einiges geredet und mit einer weißköpfigen Amsel. In Prag ist die unmittelbar bevorstehende Entvölkerung abzusehen, die Menschen sehen sämtlich krank und grau aus wie chronische, nicht mehr weit von ihrem Ende entfernte Raucher. Wenn eben möglich trifft der Erzähler an einem Ort nur jeweils eine Person, in Venedig Malachio den Astrophysiker, in Verona Salvatore Altamura. Bei der englischen Wallfahrt sind sie, bei wesentlich kürzeren Distanzen, aufgereiht wie an der Perlenschnur, Farrar, Le Strange, Garrard, Hamburger. Trifft der Erzähler auf größere Menschenmassen, vorzugsweise in Form von Touristen, ergreift er die Flucht, offenbar um seiner aufkeimenden Mordlust vorzubeugen. So in Venedig, wo ein wahres Heer von Touristen in der Bahnhofshalle lagert hingestreckt wie von schweren Krankheit in ihren Schlafsäcken auf Strohmatten oder auf dem nackten Steinboden liegen oder in Limone, wo eine einzige buntfarbene Menschenmasse sich wie eine Art Zug oder Prozession durch die engen Gassen des zwischen den See und die Felswand eingezwängten Orts schiebt, lauter Lemurengesichter, die verbrannt und bemalt, unkenntlich wie hinter einer Maske, über den ineinander verschlungenen Leibern schwankten.
Benn hat die Berufung des Menschen zum ζῷον πολιτικόν als eine bloße Balkanidee abgetan. Luhmann scheint selbst ein wenig verwundert, wenn er Organisationen die Fähigkeit bescheinigt, in ihrem Inneren auch eine größere Zahl von Menschen relativ konfliktfrei beisammen zu halten. Cioran geht das Thema am Beispiel der Stadt mit der ihm eigenen Verve an: Quelque soit la grande ville où le hasard me porte, j’admire qu’il ne s’y déclenche pas tous les jours des soulèvements, des massacres, une boucherie sans noms, un désordre de fin de monde. Comment, sur un espace aussi réduit, tant d’hommes peuvent-ils coexister sans se détruire, sans se haïr mortellement? Girard zufolge sind die Menschen schon an dem ersten Tag, nachdem sie das Affenkleid abgestreift und demgemäß die instinktgesteuerte Tötungshemmung verloren hatten, übereinander hergefallen, nur die willkürliche Bestimmung eines Gruppenmitglieds als Sündenbock und seine rituelle Opferung konnte immer wieder die Aggressionen für eine gewisse Zeit einhegen und die rapide Selbstauslöschung der menschlichen Gattung bis auf weiteres verhindern. Sebald löst das Problem, ohne es zuvor anzusprechen, seinerseits durch eine heimliche aber radikale Auslichtung der Menschenart. Manchester ist eine menschenleere Stadt, Wien ebenso, niemanden hat er dort, mit dem er sprechen kann, bloß mit den Dohlen in den Anlagen vor dem Rathaus hat er einiges geredet und mit einer weißköpfigen Amsel. In Prag ist die unmittelbar bevorstehende Entvölkerung abzusehen, die Menschen sehen sämtlich krank und grau aus wie chronische, nicht mehr weit von ihrem Ende entfernte Raucher. Wenn eben möglich trifft der Erzähler an einem Ort nur jeweils eine Person, in Venedig Malachio den Astrophysiker, in Verona Salvatore Altamura. Bei der englischen Wallfahrt sind sie, bei wesentlich kürzeren Distanzen, aufgereiht wie an der Perlenschnur, Farrar, Le Strange, Garrard, Hamburger. Trifft der Erzähler auf größere Menschenmassen, vorzugsweise in Form von Touristen, ergreift er die Flucht, offenbar um seiner aufkeimenden Mordlust vorzubeugen. So in Venedig, wo ein wahres Heer von Touristen in der Bahnhofshalle lagert hingestreckt wie von schweren Krankheit in ihren Schlafsäcken auf Strohmatten oder auf dem nackten Steinboden liegen oder in Limone, wo eine einzige buntfarbene Menschenmasse sich wie eine Art Zug oder Prozession durch die engen Gassen des zwischen den See und die Felswand eingezwängten Orts schiebt, lauter Lemurengesichter, die verbrannt und bemalt, unkenntlich wie hinter einer Maske, über den ineinander verschlungenen Leibern schwankten.
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