Sonntag, 3. Februar 2019

Wegrand

Struktursymbole

Die Biographieerzählungen, Vier lange Erzählungen und Austerlitz, unterscheiden sich klar von den Erzählungen, die vom Reisen und Wandern des Dichters berichten, aber auch Schwindel.Gefühle und Ringe des Saturn sind untereinander verschieden und nicht nur darin, daß in dem einen Werk vorwiegend gereist und in dem anderen vorwiegend gewandert wird. Auf den ersten Blick haben wie es bei den Schwindel.Gefühlen mit einer Abfolge von vier Erzählungen zu tun, aber der erste Eindruck täuscht und ist allein dem immer in eine Abfolge gezwungenen Wesen der Sprache geschuldet. Tatsächlich handelt es sich um einen dahingleitenden und auf den Gardasee zuhaltenden Katamaran mit einem Haupt- (Estero und Patria) und zwei Nebenrümpfen (Beyle und Dr. K.), verbunden durch die zuverlässigen Motivhalterungen Liebe und Gracchus. Herr des Hauptteils ist der reisende Erzähler, der so gut wie nur Motive aufgreift, die am Wegrand liegen, in Venedig kommt ihm Casanova in den Sinn, nach Überquerung der Alpen Tiepolo, beides nicht weiter verwunderlich und beides recht schnell abgehandelt und zum Ende gebracht, die Reise geht weiter. – Freilich, wenn der Katamaran einfährt in den Hafen von Riva, bei schwierigen Lichtverhältnissen, glaubt mancher, einen schweren alten Kahn zu sehen, verhältnismäßig niedrig und sehr ausgebaucht, verunreinigt, wie mit Schwarzwasser ganz und gar übergossen, noch troff es scheinbar die gelbliche Außenwand hinab, die Masten unverständlich hoch, der Hauptmast im obern Drittel geknickt, faltige, rauhe, gelbbraune Segeltücher zwischen den Hölzern kreuz und quer gezogen, Flickarbeit, keinem Windstoß gewachsen.

Die englischen Wallfahrt bleibt nicht auf England beschränkt, einigermaßen überrascht sehen wir uns plötzlich in China und dann auch schon in Afrika. Auch die Fernreisen beginnen am Wegrand. Im Hotel in Southwold hat der Erzähler die Möglichkeit, sozusagen im Vorbeigehen eine BBC-Dokumentation über Roger Casement zu sehen, schläft aber, nachdem er sich den Sessel vorm Fernsehgerät zurechtgerückt hat, umgehend ein. Er sieht sich genötigt, das Versäumte aus schriftlichen Quellen, also abseits des Wanderweges, zu rekonstruieren. Die Reise nach China wird auf recht nonchalante Weise eingeleitet. Die Schmalspurbahn, die auf der Brücke über den Blyth zum Einsatz kam, war ursprünglich, so heißt es, für den Kaiser von China gebaut worden, aus Gründen, die sich später nicht mehr feststellen ließen, unterblieb die Auslieferung aber. Das hindert aber nicht, ungeleitet von dem Bähnchen und abseits vom Wanderweg, eine umfängliche Reise ins Reich der Mitte anzutreten. Anders ist es mit der Seeschlacht von Sole. Fußmüde nach der langen Wanderung nimmt der Dichter Platz auf einer Bank am Meer und hat wie in einem Theater die Bühne des grauenhaften Gemetzels aus dem Jahr 1672 vor sich. Der weitere Weg führt an nicht wenigen zu Ruinen zerfallenen Gebäuden und Herrenhäuser vorbei, in denen in der Vergangenheit Prominente wie Swinburne, Chateaubriand oder FitzGerald gewohnt oder Unterschlupf gefunden hatten. Von Boulge Park, dem heruntergekommenen Besitztum FitzGeralds, gelangt der Dichter vermittels eines Traums, in dem ein Blechtischchen eine Hauptrolle spielt, nach Irland, das auch nicht unmittelbar am Wege liegt, und zum Anwesen der Ashburys. Hier, in Irland, bei den Ashburys stoßen wir auf die symbolische Figur der englischen Wallfahrt. Die drei Schwestern hatten im Nordzimmer eine Unmenge von Stoffresten angehäuft und verbrachten jeden Tag einige Stunden mit dem nutzenfreien, nur lockeren Zusammennähen bunter Flicken. Der Dichter, den es reut, die Ashburys verlassen zu haben, dankt ihnen, in Gestalt der Ringe des Saturn, mit einem reichen Flickenteppich vielfältiger Motive, so wie er es von ihnen gelernt hat.

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