Sonntag, 1. Dezember 2019

Wissen

Autor, Erzähler, Leser

Dämmert es Adroddwr, dem Erzähler, als er den Namen Giorgio Santini hört? Wo aber hat er den Namen überhaupt gehört oder auf andere Weise erfahren, nicht deutet darauf hin, daß der Artist und der Erzähler im Wartesaal des Konsulats ein Gespräch aufgenommen und sich gegenseitig vorgestellt hätten. Hat der Erzähler sich weiterführende Gedanken gemacht zu dem wirklich wunderbaren, formvollendeten weitkrempigen Strohhut, den Santini in der Hand dreht, hat Adroddwr später die englische Nationalgalerie mit dem ausdrücklichen Ziel aufgesucht, Santinis Strohhut mit dem zu vergleichen, den der von Pisanello gemalte San Giorgio auf dem Kopf trägt, weiß der Erzähler in dieser Angelegenheit so viel wie der Autor, oder ähnelt sein Wissen eher dem eingeschränkten Wissen des Lesers?

Beyle machte Mme Gherardi auf einen schweren alten Kahn aufmerksam, mit einem im oberen Drittel geknickten Hauptmast und faltigen gelbbraunen Segeln, der anscheinend vor kurzer Zeit angelegt hatte und von dem zwei Männer in dunklen Röcken mit Silberknöpfen eine Bahre an Land trugen. Zwar hat erst Kafka den Jäger Gracchus Jahrzehnte später identifiziert, das schließt eine Begegnung incognito mit dem Jäger, der, wie wir nun wissen, schon seit Jahrhunderten auf seiner Barke unterwegs ist, nicht aus. Adroddwr kann zu der Erscheinung nichts beitragen, er ist in der Eingangserzählung Beyle der Schwindel.Gefühle nicht vertreten und fällt als Interpret aus. Der Autor ist nicht allwissend, weiß aber viel, so viel, wie er wissen will.

Gern überläßt der Autor dem Erzähler das Wort, zieht sich aber nicht ganz zurück. Der Erzähler verwaltet vorwiegend die realistischen Ebene, der Autor ist eher verantwortlich für das untergründige mythische Geflecht. Der Leser ist doppelt bevorteilt, zum einen stehen ihm, wenn er nur will, beide Ebenen gleichermaßen offen und zum anderen kann er sich immer wieder aufs neue in den Text vertiefen. Zwar ist es dem Autor unbenommen, sich seinerseits unter die Leser zu begeben, wie es heißt, meiden die Autoren aber in der Mehrzahl die eigenen abgeschlossenen Texte. Der Erzähler ist benachteiligt, nach seinem Auftritt ist es um ihn geschehen, er kann sich als fiktionale Figur nicht unter die Leser begeben, um sein Wissen zu erweitern. Wo aber Ungemach droht, stellt Rettendes sich ein, der Autor schickt den Erzähler ein zweites nach Italien mit dem ausdrücklichen Auftrag, die Erinnerungen an die sieben Jahre zurückliegenden Erinnerungen genauer zu überprüfen und tiefer einzudringen in das damals Geschehene. Da der Erzähler sich aber nicht auf die Überprüfung des Vergangenen beschränkt, sondern auch ungeprüft von der zweiten Reise erzählt, scheint sich eine dritte Reise anzubahnen &c, tendenziell eine Reise ins Unendliche. Der Erzähler zieht aber einen Schlußstrich und quartiert sich in einem Hotel oberhalb von Bruneck ein, um dort, ohne weiter davon zu erzählen, den Winter abzuwarten.

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