Samstag, 4. September 2021

Heimat

 Tiefpunkt

Beide haben nicht nur ihren Heimatort, sondern auch ihr Heimatland verlassen, den einen hat es aus dem Allgäu nach England versetzt, den anderen von Frankreich nach Polen. Dabei war es für Stachura imgrunde eine Rückkehr in die Heimat, als Kind polnischer Emigranten in Frankreich geboren und aufgewachsen, war er im Krieg mit der Familie nach Polen rückgewandert. In einer der Erzählungen heißt es, er liebe beide Länder, Frankreich und Polen, in gleicher Weise, ein literarisches Ritorno in Patria findet aber nicht statt, Erzählort im relevanten Prosawerk ist ausschließlich Polen. Dabei hat der Erzähler in den meisten Erzählungen kein eigenen Wohnsitz in der alten neuen Heimat. Er kommt für einige Wochen bei Bekannten unter, findet leerstehende Gartenlauben, haust in primitiven, selbst erbauten Hütten oder übernachtet in rollenden oder stehenden Eisenbahnwaggons. In den beiden Romanen ist es anders, der Erzähler teilt eine Wohnung mit einer geliebten und liebenden Frau, wir bekommen ihn allerdings in dieser Umgebung nicht zu Gesicht, da er in beiden Fällen als Gelegenheitsarbeiter im Außeneinsatz tätig ist, einmal als Teichreiniger und das andere Mal beim Holzfällen. Er hat, so mag man urteilen, den Höhepunkt seines bürgerlichen Lebens erreicht, ohne zu verbürgerlichen, und auch den Höhepunkt seiner Erzählkunst. Spätere Werke wie Fabula rasa und Się bekunden den Abstieg.

Die Pension Arosa in Manchester, der ersten Station des nach England ausgewanderten Erzählers, mag ihre Schwächen haben, eine Gartenlaube oder selbst errichtete Hütte ist es nicht. Bereits hier sind unzureichende Geldmittel offenbar kein Problem. Als er mit Clara in Hingham eine Wohnung sucht, ist er offenbar schon gut situiert, umso mehr als Clara wenig später auf eigene Faust ein Haus kauft. In seiner ersten uns bekannten Reise aus England heraus im Jahre 1980 macht er nicht Station in seinem Heimatland, sondern erreicht unmittelbar Wien. Hier findet offenbar ein Persönlichkeitsverfall statt. Er trägt ständig eine aus England mitgebrachte Plastiktasche voller unnützer Gegenstände mit sich herum, von denen er sich auf keinen Fall trennen kann. Das Schuhwerk beginnt, sich in Fetzen aufzulösen. Zwar ist er zahlungskräftig und wohnt er weiter im Hotel, spürt aber in seinem Rücken die kritischen Blicke der anderen Gäste und des Personals. Gewissermaßen ist er auf dem Tiefpunkt seiner bürgerlichen Existenz angelangt, es bleibt nur die Flucht. Gelingt sie? Der Zug hält am Brenner, niemand steigt aus, niemand steigt ein. Die Grenzer gehen auf dem Bahnsteig auf und ab. Der Regen geht über in Schnee. Weit länger währt die Nacht der Zeit als deren Tagesspanne, und es weiß keiner, wann das Äquinoktium gewesen ist. Das sind die letzten Worte der Erzählung, wenn sie nicht sieben Jahre später mit dem Bericht über eine zweite Reise wiederaufgenommen und fortgesetzt wäre, könnten wir nicht sicher sein, daß er jemals wieder daheim in England eingetroffen war. Er hätte auch, wie es an anderer Stelle heißt, sich sehr leicht aus dem Leben entfernen können.

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