Bleich
Der Erzähler ist ohne Namen, ab und zu scheint es, als würde er den Namen des Autors teilen, aber darauf ist kein Verlaß. Wer uns sonst noch begegnet in den Erzählungen, ist meistens mit einem Namen versehen, Selwyn, Malachi, Altamura, Luciana Michelotti, viele noch. Oft sind die Begegnungen zu kurz und die Situation ungeeignet für einen Namensaustausch, man denke etwa an die Napoleoniden in der Casa Bonaparte oder an die Franziskanerin und das Mädchen mit einer aus vielen farbigen Flecken geschneiderten Jacke im Zug nach Mailand. Wenn man den Namen kennt, ist die Angelegenheit oft vorläufig erledigt, bereit für eine vorübergehende oder dauerhafte Ablage. Die Franziskanerschwester und das Mädchen mit der vielfarbigen Jacke sind auf dem Mailänder Bahnsteig sofort verschwunden, so wortlos, wie sie es bereits während der Fahrt waren, jeglicher Ablagemöglichkeit entwichen. Schön wäre es, die Namen zu kennen, man wünscht sie sich herbei. Auch der Erzähler in Nossacks Roman Nekyia, ein Buch ohne jede Namensnennung, schützt Interesse an den Namen vor. Wenn ich, so heiß es, die Namen dieser Männer und Frauen noch wüßte, brauchte ich sie nicht so langatmig zu beschreiben. Der Autor aber teilt die Ansicht seines Erzählers nicht, Namenlosigkeit ist die Grundlage für alles andere. Dafür, daß sie Welt ein lehmiges Meer ist, dafür daß kein Unterschied zwischen Leben und Tod besteht, daß die Welt farblos ist, bleich, das gleiche Licht bei Tag und bei Nacht, wenn es denn noch Tag und Nacht gäbe, daß die Uhren nicht zwischen der Stunde und der Sekunde unterscheiden können, daß man auf dem Weg vergißt, warum man ihn geht, daß gar kein Wind weht. Eine Katze sitzt ein wenig abseits und starrt unbeweglich auf etwas im Moor, sie sieht die Welt so, wie sie sie immer gesehen hat.
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