Mittwoch, 15. Dezember 2021

Zwei Raucher, zwei Dichter

Zwei Dichter, zwei Raucher


Stachura, geboren 1937, Sebald, geboren 1944, die beiden Photos sind wohl mehr oder weniger zeitgleich in den sechziger Jahren aufgenommen worden. Nimmt man an, daß der abgebildete Sebald vielleicht gut zwanzig war, dann war Stachura an die dreißig. Der Roman Cała jaskrawość war fast abgeschlossen, Siekierezada in der Planung, Sebald hatte hingegen den Schritt zum Prosakünstler noch längst nicht vollzogen. Beide waren Raucher, Stachura ein Raucher auch in heute nicht mehr vorstellbaren Lagen. Zu Beginn der Siekierezada sitzt er als Jan Pradera im überfüllten Zug und bemüht sich immerhin, man weiß nicht mit welchem Erfolg, den gedrängt im Gang stehenden Fahrgästen nicht die Hosen oder die Kleider zu verbrennen. Das Anzünden einer Zigarette ist in Stachuras Prosa ein wichtiger Taktgeber, im Vergleich der beiden Photos erscheint er denn auch als der eindrucksvollere Nikotinist. Zahlreiche Photos zeigen auch Sebald mit einer Zigarette, in seiner Prosa verzichtet er auf Zigarettenrauch. Immerhin erwähnt er in einem Gespräch den Rauch, der oft unter der Tür seines Arbeitszimmers hervorquillt.

Eine gegenseitiges Kennenlernen der beiden Raucher und Dichter konnte es nicht geben. Stachura ist 1979, längst noch bevor Sebald die Bühne der Literatur betrat, aus dem Leben gegangen, der qualitative Höhepunkt seines Schaffens lag in den sechziger und frühen siebziger Jahren. Sebalds Kenntnis der polnischen Literatur beschränkte sich im wesentlichen auf Joseph Conrad, immerhin begegnen wir Conrad/Korzeniowski nicht allein im Kongo, sondern auch während einer mehrstündigen Schlittenfahrt mit dem Ziel der Ortschaft Kazimierowska. Ohnehin ist Stachuras Werk, soweit erkundbar, nicht übersetzt worden und damit nur wenigen zugänglich.

Was hätten die beiden bei einer Begegnung voneinander gehalten? Man kann nur raten und läßt es besser sein. Auffällig ist in jedenfalls die Neigung zu schönen Sätze bei Sebald und die entsprechende Abneigung bei Stachura. Bei Kälte etwa, so sagt er, müsse die Prosa frösteln, wie genau das aussehe, könne er auch nicht sagen. Ein wenig zu leicht, so scheint ihm, ein wenig zu schnell und zu glatt erzähle er von der Kälte. Das müsse anders erzählt werden. Nicht so glatt. Nicht so sauber. Das muß gespannter vorgetragen werden. Stotternd durch die vor Kälte zitternden Zähne, und ohne Eleganz niedergeschrieben, so wie die vor Kälte starren Finger. Man kann alles auf elegante Art ersinnen und niederschreiben wie in der schönen Literatur. Das macht keine Mühe. Er möchte das so erzählen, will sagen, es weiterhin so erzählen, wie es ist, wenn es anders ist, wenn die Worte nicht anmutig niederschweben, sondern … hier fehlen ihm, dem Dichter, die Worte. - Die Hilflosigkeit der Worte ist naturgemäß vorgetäuscht, ein Stilmittel, aber nicht unwahr. Kann es andererseits nicht schöne Sätze geben, die ihrerseits das Schöne nur vortäuschen und dabei auf das Grauen schauen? Stachura hat Onetti, auch nicht gerade ein Stilverwandter, ins Polnische übersetzt. Um Sebald hat sich später dann die Übersetzerin Małgorzata Łukasiewicz gekümmert.

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