Sonntag, 8. Januar 2023

Essen in Gaststätten

Sult

Er weiß nicht, wie er sich in den fremden Städten die Lokale aussuche, in die er einkehrt. Einerseits ist er zu wählerisch und geht stundenlang durch die Straßen und Gassen, ehe er sich entscheiden kann; andererseits gerät er meistens wahllos einfach irgendwo hinein und verzehrt dort in trostloser Umgebung und unter Unbehagen ein ihm in keiner Weise zusagendes Gericht. Einiges spricht dafür, daß er dieses Unglück nicht als Unglück verbucht, hatte er doch schon als junger Mensch unter der Anleitung von Aurach, der täglich zur Mittagszeit die Gaststäte Wadi Halfa aufsuchte, die dort verabreichten stets grauenvollen, halb englischen, halb afrikanischen Gerichte kennen und schätzen gelernt. Kulinarische Genüsse sind nicht das Gebiet des Geistesmenschen, erlaubt ist allenfalls die Erinnerung an Kindheit und Jugend, der gealterte Proust hatte seinerzeit verboten, ihm seine ursprünglichen Lieblingsspeisen vorzusetzen, weil sie ihm nur die Erinnerung an diese Genüsse der Jugend verdarben. In anderen, östlichen Ländern mag die Unterscheidung von Kost und Feinkost weniger relevant sein, die Menge ist ein wichtiger Faktor. Pradera bestellt in der Hoplanka Eisbein in Fleischbrühe, eine doppelte Portion Kartoffeln, eine doppelte Portion Kraut, Senf und zwei gesäuerte Gurken und läßt die über die Nahrungsfülle staunende Serviererin wissen, er könne ohne weiteres zum Nachtisch auch sie noch vernaschen. Diese Wortwahl, so erläutert er, sei nicht sein Dialekt, nicht sein Stil, hungrig wie er ist, geht es ihm allein um die Schnelligkeit. Es liege weitgehend in der Hand der Serviererin, ob das Essen nach einer Viertelstunde, einer halben Stunde oder gar erst nach einer Stunde kommt. Ein va banque Spiel, aber er hat den im vorliegenden Fall richtigen Ton gefunden, das Essen kommt schon nach zehn Minuten. Nun ist Ruhe. Er war hungrig, ißt aber nicht etwa gierig oder schnell, so daß er die Sauce vergossen oder die Kartoffeln über den Tellerrand geschoben hätte, die dann, wie es in manchen Filmen vorkommt, auf den Tisch oder gar unter den Tisch gerollt wären. Es gibt sicher verschiedene Weisen zu essen, er jedenfalls ißt kultiviert, würdig. Er ißt mit Bedacht restlos alles und steckt sich dann, wie seinerzeit üblich, zur Krönung des Genusses eine Zigarette an.

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