Verlassene Dinge
Die Türschelle schepperte und
gleich darauf standen wir in dem kleinen Uhrenladen des Uhrmachers Ebentheuer,
in dem eine Unzahl von Standuhren, Regulatoren, Wohnzimmer- und Küchenuhren,
Weckern, Taschen- und Armbanduhren durcheinandertickten, gerade so als könne
ein Uhrwerk allein nicht genug Zeit zerstören. Währen der Großvater sich mit
dem Ebentheuer, der wie immer die Lupe ins linke Auge geklemmt hatte, über das
unterhielt, was seiner Sackuhr gefehlt hatte, schaute sein Enkel über den Ladentisch
hinweg in das dunkle Wohnzimmer hinein. Alles weist darauf hin, daß die Uhren
ein eigenständiges Leben führen, daß sie ohne weiteres auch ohne den Ebentheuer
zurechtkommen, von den Kunden ganz zu schweigen. Erst die Mittagsstunde aber, die
Pausenzeit, ist die Stunde der verlassenen Dinge. Der Rasiersessel des Baders
Köpf stand leer. Das Rasiermesser lag, aufgeklappt, auf der marmorierten Platte
des Waschtischs. Wie es da auf dem Tisch liegt, war das Messer womöglich noch
grauenhafter als in der Hand des Köpf, wenn der dem Jungen nach dem Haareschneiden mit
diesem an dem Lederriemen frisch abgezogenen Messer den Hals ausrasierte.
Die Dinge sind beharrlicher als
die Menschen. Lange ist Austerlitz vor den Schaufensterscheiben des Antikos Bazar gestanden in der
vergeblichen Hoffnung, daß vielleicht jemand kommen und dieses seltsame Magazin
aufschließen würde. Die Ausstellungsstücke blieben sich selbst überlassen.
Welches Geheimnis bargen die drei verschieden großen Messingmörser, die etwas
von einem Orakelspruch hatten, die kristallenen Schalen, das blecherne
Reklameschild, das die Aufschrift Theresienstädter Wasser trug, der
kugelförmige Briefbeschwerer und die hundert anderen Dinge. Verlassene Dinge,
aber nicht von der Art des Rasiermessers auf dem Waschtisch. Im Antikos Bazar sind fehlgelaufene, ausrangierte
Produkte gesammelt, das Rasiermesser ist ein Arbeitsgerät, ein
Produktionsmittel, das teilnimmt am Ruhebedürfnis seines Eigentümers, bevor
beide die Arbeit gemeinschaftlich wieder aufnehmen.
Aus der Schmiede roch es nach
verbranntem Horn. Das Essenfeuer war ganz in sich zusammengesunken, und das
Werkzeug, die schweren Hämmer, Zangen und Raspeln lagen und lehnten herrenlos
überall herum. Nirgends rührte sich etwas. Das Wasser im Bottich, in den der
Schmied sonst jeden Augenblick mit dem glühenden Eisen, daß es zischte,
hineinfuhr, war so still und glänzte von dem schwachen Widerschein, der vom
offenen Tor auf seine Oberfläche fiel, so tiefschwarzdunkel, als hätte noch nie
jemand es angerührt und als sei ihm bestimmt, in solcher Unversehrtheit bewahrt
zu bleiben. Wenn auch die Zeit in den ungezählten Uhren ohne seine Mithilfe
abläuft, ist Ebentheuer doch anwesend, Köpf ist auch während seiner kurzen
Abwesenheit dem Erzähler in intensiver Weise gegenwärtig, der Schmied ist weder
anwesend noch scheint irgendwer auch nur seinen Namen zu kennen. Wenn es ihn
gibt, heißt er womöglich Goff, ein im Allgäu allerdings seltener Name, aber
gibt es ihn überhaupt noch, wird er das fast erloschene Feuer wieder anfachen,
das Eisen wieder zum Glühen bringen, oder ist er gegangen, weil seine Zeit
vorüber ist? Einst war die Schmiedekunst das den dunklen Göttern am nächsten
stehende Handwerk, Hephaistos selbst hatte göttlicher Status, Vulkane dienten
ihm als Schmiedefeuer, auf den Schild des Achilles hatte er die Welt geschmiedet.
Jetzt verschwindet das Handgreifliche aus der Welt, eine neue Zeit hat
begonnen.
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