Lachend in der Mitte
Er ging eine breite Straße entlang, oder, besser gesagt, er ging auf einem breiten Trottoir, ungefähr fünf Meter breit, zwischen wohlgepflegten Alleebäumen, die daneben verlaufende Straße war fünfmal so breit. Viele Leute waren unterwegs, auf beiden Seiten ergingen sich die Menschen, zu zweit, zu dritt, auch in größeren Gruppen, die Männer außen, die lachenden Frauen in der Mitte. - Es ist ein Glück, vielen Menschen zu begegnen, solange sie dich und einander nicht bedrängen und jeder, der will, unbehelligt bleibt. Der Dichter kennt andere Orte des Glücks, den einsamen Wanderpfad, er führt um den Verhack herum, durch eine Ginsterböschung auf die Anhöhe der Lehmklippe hinauf. Draußen auf dem bleifarbenen Meer begleitet den Wanderer ein Segelboot, genauer gesagt schien es ihm, als stünde es still. Anders sieht es für den einsamen Wanderer in den Städten aus. Es dauerte nahezu eine Viertelstunde, bis er auf der anderen Seite des Karrees den ersten Menschen erblickte, eine vornübergebeugte Gestalt, die sich unendlich langsam an einem Stock voranbewegte und dann doch auf einmal verschwunden war. Sonst begegnete ihm den ganzen Morgen niemand in den schnurgeraden, verlassenen Straßen. Glücksgefühle stellen sich nicht ein, Terezín ist wohl auch nicht prädestiniert für Glücksgefühle. In Manchester aber ist es kaum anders. Alles war niedergerissen, so daß man weit über das derart entstandene Brachland hinwegschauen konnte. Wenn die Nacht sich herabsenkte, begannen an verschiedenen Stellen Feuerchen zu flackern, um die als unstete Schattenfiguren Kinder herumstanden und -sprangen. Ansonsten war, obschon bereits der Morgen graut, niemand zu sehen. Tatsächlich konnte man glauben, die Stadt sei längst von ihren Bewohnern verlassen und nun mehr ein einziges Totenhaus oder Mausoleum. Bei Nachtwanderungen trifft man selbst in einer Großstadt wie London kaum Menschen. Man geht fort und fort, auf der Mile End und Bow Road über Stratford bis nach Chigwell und Romford hinaus, quer durch Bethnal Green und Canonbury, durch Holloway und Kentish Town bis auf die Heide von Hampstead, südwärts über den Fluß nach Peckham und Dulwich oder nach Westen zu bis Richmond Park und begegnet auf diesen Wegen nur einzelnen Nachtgespenstern. - Einsame Wanderungen in menschenleeren Städten, ob am Tag oder bei Nacht, haben selten eindeutige Glücksgefühle zur Folge. Was man auch halten mag von den Menschen, in den Städten kann man kaum auf sie verzichten. Wo das Glück verborgen ist, weiß letztlich allerdings niemand. Schlimmer ist es in jedem Fall, wenn die Stadt, zumeist in der Gestalt von Touristen, ausgefüllt ist bis zum Rand. In Limone war das ganze Ferienvolk paar- und familienweise unterwegs. Eine einzige buntfarbene Menschenmasse schob sich wie eine Art Zug oder Prozession durch die engen Gassen des zwischen den See und die Felswand eingezwängten Orts. In Venedig lagerte in der Bahnhofshalle hingestreckt wie von schweren Krankheit ein wahres Heer von Touristen in ihren Schlafsäcken auf Strohmatten oder auf dem nackten Steinboden. Auch draußen auf dem Vorplatz lagen ungezählte Männer und Frauen, in Gruppen, paarweise oder allein auf den Stufen und überall ringsherum.
In der gedrängten Masse werden die Menschen ununterscheidbar. In lockeren Verbänden scheinen sie sich in Mailand zu bewegen, der Dichter ist allerdings in seiner Urteilsbildung dadurch behindert, daß er ihnen nicht al nivello degli occhi begegnet, sondern aus großer Höhe, von der obersten Galerie des Doms auf sie herabschaut. Nur mit Mühe kann er den schlichten und zugleich seltsamen Gedanken fassen, es handele sich vorwiegend um lauter Mailänder und Mailänderinnen, die gegen den Wind geneigt einzeln ihrem Ende entgegenstürzen. Wäre er selbst unten auf der Piazza gewesen, hätte er vielleicht Menschen zu zweit und zu dritt gesehen, lachende Frauen darunter. Auch von einem Straßencafé aus hätte sich das gut beobachten lassen. Als der Erzähler in einer Bar an der Riva Malachio trifft, sind aber draußen keine Passanten zu sehen, nicht zu zweit oder zu dritt, die Männer außen, die lachenden Frauen in der Mitte, nichts und niemand ist zu sehen. Vor dem Fenster des Café des Sports in Evisa war seinerzeit immerhin eine seltsam theatralisch wirkende Person vorbeigezogen und ein halbwüchsiges Schwein, das ihr auf dem Fuße folgte. Vor dem Café auf der Piazza Bra, wo er mit Salvatore Altamura sitzt, werden die die Festspielbesucher scharenweise aus den Reisebussen gelassen, Kulturtouristen eng an eng, kein Lachen, kein Weinen. In der großen und weitläufigen Stadt Warschau, voller lachender Frauen, ist der Dichter nicht gewesen, nicht zur rechten Zeit und nicht im rechten Augenblick.
Er ging eine breite Straße entlang, oder, besser gesagt, er ging auf einem breiten Trottoir, ungefähr fünf Meter breit, zwischen wohlgepflegten Alleebäumen, die daneben verlaufende Straße war fünfmal so breit. Viele Leute waren unterwegs, auf beiden Seiten ergingen sich die Menschen, zu zweit, zu dritt, auch in größeren Gruppen, die Männer außen, die lachenden Frauen in der Mitte. - Es ist ein Glück, vielen Menschen zu begegnen, solange sie dich und einander nicht bedrängen und jeder, der will, unbehelligt bleibt. Der Dichter kennt andere Orte des Glücks, den einsamen Wanderpfad, er führt um den Verhack herum, durch eine Ginsterböschung auf die Anhöhe der Lehmklippe hinauf. Draußen auf dem bleifarbenen Meer begleitet den Wanderer ein Segelboot, genauer gesagt schien es ihm, als stünde es still. Anders sieht es für den einsamen Wanderer in den Städten aus. Es dauerte nahezu eine Viertelstunde, bis er auf der anderen Seite des Karrees den ersten Menschen erblickte, eine vornübergebeugte Gestalt, die sich unendlich langsam an einem Stock voranbewegte und dann doch auf einmal verschwunden war. Sonst begegnete ihm den ganzen Morgen niemand in den schnurgeraden, verlassenen Straßen. Glücksgefühle stellen sich nicht ein, Terezín ist wohl auch nicht prädestiniert für Glücksgefühle. In Manchester aber ist es kaum anders. Alles war niedergerissen, so daß man weit über das derart entstandene Brachland hinwegschauen konnte. Wenn die Nacht sich herabsenkte, begannen an verschiedenen Stellen Feuerchen zu flackern, um die als unstete Schattenfiguren Kinder herumstanden und -sprangen. Ansonsten war, obschon bereits der Morgen graut, niemand zu sehen. Tatsächlich konnte man glauben, die Stadt sei längst von ihren Bewohnern verlassen und nun mehr ein einziges Totenhaus oder Mausoleum. Bei Nachtwanderungen trifft man selbst in einer Großstadt wie London kaum Menschen. Man geht fort und fort, auf der Mile End und Bow Road über Stratford bis nach Chigwell und Romford hinaus, quer durch Bethnal Green und Canonbury, durch Holloway und Kentish Town bis auf die Heide von Hampstead, südwärts über den Fluß nach Peckham und Dulwich oder nach Westen zu bis Richmond Park und begegnet auf diesen Wegen nur einzelnen Nachtgespenstern. - Einsame Wanderungen in menschenleeren Städten, ob am Tag oder bei Nacht, haben selten eindeutige Glücksgefühle zur Folge. Was man auch halten mag von den Menschen, in den Städten kann man kaum auf sie verzichten. Wo das Glück verborgen ist, weiß letztlich allerdings niemand. Schlimmer ist es in jedem Fall, wenn die Stadt, zumeist in der Gestalt von Touristen, ausgefüllt ist bis zum Rand. In Limone war das ganze Ferienvolk paar- und familienweise unterwegs. Eine einzige buntfarbene Menschenmasse schob sich wie eine Art Zug oder Prozession durch die engen Gassen des zwischen den See und die Felswand eingezwängten Orts. In Venedig lagerte in der Bahnhofshalle hingestreckt wie von schweren Krankheit ein wahres Heer von Touristen in ihren Schlafsäcken auf Strohmatten oder auf dem nackten Steinboden. Auch draußen auf dem Vorplatz lagen ungezählte Männer und Frauen, in Gruppen, paarweise oder allein auf den Stufen und überall ringsherum.
In der gedrängten Masse werden die Menschen ununterscheidbar. In lockeren Verbänden scheinen sie sich in Mailand zu bewegen, der Dichter ist allerdings in seiner Urteilsbildung dadurch behindert, daß er ihnen nicht al nivello degli occhi begegnet, sondern aus großer Höhe, von der obersten Galerie des Doms auf sie herabschaut. Nur mit Mühe kann er den schlichten und zugleich seltsamen Gedanken fassen, es handele sich vorwiegend um lauter Mailänder und Mailänderinnen, die gegen den Wind geneigt einzeln ihrem Ende entgegenstürzen. Wäre er selbst unten auf der Piazza gewesen, hätte er vielleicht Menschen zu zweit und zu dritt gesehen, lachende Frauen darunter. Auch von einem Straßencafé aus hätte sich das gut beobachten lassen. Als der Erzähler in einer Bar an der Riva Malachio trifft, sind aber draußen keine Passanten zu sehen, nicht zu zweit oder zu dritt, die Männer außen, die lachenden Frauen in der Mitte, nichts und niemand ist zu sehen. Vor dem Fenster des Café des Sports in Evisa war seinerzeit immerhin eine seltsam theatralisch wirkende Person vorbeigezogen und ein halbwüchsiges Schwein, das ihr auf dem Fuße folgte. Vor dem Café auf der Piazza Bra, wo er mit Salvatore Altamura sitzt, werden die die Festspielbesucher scharenweise aus den Reisebussen gelassen, Kulturtouristen eng an eng, kein Lachen, kein Weinen. In der großen und weitläufigen Stadt Warschau, voller lachender Frauen, ist der Dichter nicht gewesen, nicht zur rechten Zeit und nicht im rechten Augenblick.
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