Jagdfieber
Ob nun Zufall oder Fügung, in der Schublade des Nachttischs seines Hotelzimmers in Piana findet Adroddwr, der Erzähler, einen alten Band der Bibliothèque de la Pléiade der Trois Contes Flauberts, darin die Nacherzählung der Legende vom unheiligen Sankt Julian. Es beginnt in sehr jungen Jahren, noch im sogenannten zarten Kindesalter, mit der Ermordung einer Kirchenmaus, am folgenden Tag hängt eine mit der Schleuder erlegte Taube zuckend im Ligusterbusch und sobald der Junge das Waidwerk erlernt hat, verbringt Julian die Tage mit der Sauhatz im Wald, der Bärenjagd in Gebirge oder in den Hirschgründen. Beschmiert mit Schlamm und Blut kommt der Jäger allabendlich heim, und so geht es fort und fort mit dem Töten, bis der Heilige sich schließlich auf seine tief verborgene Heiligkeit besinnt. In seiner kurzgefaßten Nacherzählung der Gracchus-Fragmente Kafkas geht der Dichter, ein anderes Ziel verfolgend, nicht ein auf die Unschuldsbekundungen des mythischen Jägers: Ist das eine Schuld, ich war Jäger, lauerte auf, schoß, traf, zog das Fell ab, ist das eine Schuld? Der große Jäger vom Schwarzwald hieß ich. Ist das eine Schuld? - Der Erzähler vermeidet die Stellungnahme, würde ohne Zweifel aber Roberto Calassos Antwort billigen: Sì, è una colpa. Nachdem der Mensch seit ewigen Zeiten von unbesiegbaren Raubtieren gejagt wurde, hat er die Waffen erfunden und ist selbst zum Raubtier geworden. Die anderen Tiere haben dem Menschen diesen Wechsel nicht verziehen. Loro hanno continuato a essere fedelmente ciò che erano. Uccidevano e si facevano uccidere secondo le antiche regole. Soltanto l'uomo osava espandere il repertorio dei suoi gesti. Calasso führt die Schuld des Jägers zurück zur Wegscheide, an der Mensch abgezweigt ist von der Tierwelt, Girard macht die gleiche Stelle zum Zentrum seiner den sogleich aufkeimenden Mythen abgelesenen Anthropologie. Im Augenblick der Menschwerdung seien sei die instinktive Tötungshemmung entfallen, nur geregelte Menschenopfer hätten die selbstbetriebene Ausrottung der Gattung verhindern können. Das sukzessive Ersetzen der Menschenopfer durch Tieropfer war dann nach allgemeiner Übereinkunft als ein humanistischer Meilenstein anzusehen.
Es ist Jagdsaison, draußen vor der Tür, in der Umgebung von Piana herrscht eine Art Kriegszustand. Zu jagen gibt es kaum noch etwas, da das in den Inselwäldern wohnende Wild heute nahezu gänzlich ausgerottet ist. Die Jäger haben ein eher partisanenhaftes Gehabe angenommen. Unrasiert, mit schweren Gewehren sehen sie aus wie die kroatischen und serbischen Milizen und wie diese verstehen auch die korsischen Jäger, wenn man sich in ihr Territorium verirrt, keinen Spaß. Война и мир, schon immer gab es ein wohlwollendes Miteinander von Schlacht und Jagd, die mittelalterlichen Ritter waren Krieger zu Kriegszeit und Jäger in Zeiten des Friedens und das gilt auch noch für Tolstois Nikolaj Rostow. Die Bereitschaft, jederzeit die Seiten zu wechseln, ist unverkennbar, nicht nur bei den Jägern. Man denke an die Leichenöffnung, getarnt als Schauspiel unerschrockenen Forschungsdrangs verfolgt sie vor allem anderen das archaisches Ritual der Zergliederung eines Menschen, die Peinigung des Fleisches bis über den Tod hinaus.
Ob nun Zufall oder Fügung, in der Schublade des Nachttischs seines Hotelzimmers in Piana findet Adroddwr, der Erzähler, einen alten Band der Bibliothèque de la Pléiade der Trois Contes Flauberts, darin die Nacherzählung der Legende vom unheiligen Sankt Julian. Es beginnt in sehr jungen Jahren, noch im sogenannten zarten Kindesalter, mit der Ermordung einer Kirchenmaus, am folgenden Tag hängt eine mit der Schleuder erlegte Taube zuckend im Ligusterbusch und sobald der Junge das Waidwerk erlernt hat, verbringt Julian die Tage mit der Sauhatz im Wald, der Bärenjagd in Gebirge oder in den Hirschgründen. Beschmiert mit Schlamm und Blut kommt der Jäger allabendlich heim, und so geht es fort und fort mit dem Töten, bis der Heilige sich schließlich auf seine tief verborgene Heiligkeit besinnt. In seiner kurzgefaßten Nacherzählung der Gracchus-Fragmente Kafkas geht der Dichter, ein anderes Ziel verfolgend, nicht ein auf die Unschuldsbekundungen des mythischen Jägers: Ist das eine Schuld, ich war Jäger, lauerte auf, schoß, traf, zog das Fell ab, ist das eine Schuld? Der große Jäger vom Schwarzwald hieß ich. Ist das eine Schuld? - Der Erzähler vermeidet die Stellungnahme, würde ohne Zweifel aber Roberto Calassos Antwort billigen: Sì, è una colpa. Nachdem der Mensch seit ewigen Zeiten von unbesiegbaren Raubtieren gejagt wurde, hat er die Waffen erfunden und ist selbst zum Raubtier geworden. Die anderen Tiere haben dem Menschen diesen Wechsel nicht verziehen. Loro hanno continuato a essere fedelmente ciò che erano. Uccidevano e si facevano uccidere secondo le antiche regole. Soltanto l'uomo osava espandere il repertorio dei suoi gesti. Calasso führt die Schuld des Jägers zurück zur Wegscheide, an der Mensch abgezweigt ist von der Tierwelt, Girard macht die gleiche Stelle zum Zentrum seiner den sogleich aufkeimenden Mythen abgelesenen Anthropologie. Im Augenblick der Menschwerdung seien sei die instinktive Tötungshemmung entfallen, nur geregelte Menschenopfer hätten die selbstbetriebene Ausrottung der Gattung verhindern können. Das sukzessive Ersetzen der Menschenopfer durch Tieropfer war dann nach allgemeiner Übereinkunft als ein humanistischer Meilenstein anzusehen.
Es ist Jagdsaison, draußen vor der Tür, in der Umgebung von Piana herrscht eine Art Kriegszustand. Zu jagen gibt es kaum noch etwas, da das in den Inselwäldern wohnende Wild heute nahezu gänzlich ausgerottet ist. Die Jäger haben ein eher partisanenhaftes Gehabe angenommen. Unrasiert, mit schweren Gewehren sehen sie aus wie die kroatischen und serbischen Milizen und wie diese verstehen auch die korsischen Jäger, wenn man sich in ihr Territorium verirrt, keinen Spaß. Война и мир, schon immer gab es ein wohlwollendes Miteinander von Schlacht und Jagd, die mittelalterlichen Ritter waren Krieger zu Kriegszeit und Jäger in Zeiten des Friedens und das gilt auch noch für Tolstois Nikolaj Rostow. Die Bereitschaft, jederzeit die Seiten zu wechseln, ist unverkennbar, nicht nur bei den Jägern. Man denke an die Leichenöffnung, getarnt als Schauspiel unerschrockenen Forschungsdrangs verfolgt sie vor allem anderen das archaisches Ritual der Zergliederung eines Menschen, die Peinigung des Fleisches bis über den Tod hinaus.
In den ungeheuren, auf menschliches Verschulden zurückgehenden Buschfeuer im Osten Australiens sollen eine Milliarde Tiere ums Leben gekommen sein, Känguruhs, Koalabären, alles was kreucht und fleucht. Nur weniger als fünfzig Menschen dagegen sind bislang verbrannt oder erstickt, ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer humanen Welt, ganz im Sinne Becketts: c'est de cette facon que l'homme se distingue des animaux et
va, de découverte en découverte, toujours plus haut, vers la lumière.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen