Ich war damals, im Oktober 1980 ist es gewesen, von England aus, wo ich nun seit nahezu fünfundzwanzig Jahren in einer meist grau überwölkten Grafschaft lebe, nach Wien gefahren in der Hoffnung, durch eine Ortsveränderung über eine besonders ungute Zeit hinwegzukommen. Im August 1992, als die Hundstage ihrem Ende zugingen, machte ich mich auf eine Fußreise nach der englischen Grafschaft Suffolk in der Hoffnung, der nach dem Abschluß einer größeren Arbeit in mir sich ausbreitenden Leere entkommen zu können.
Der Anlaß für die Alpenreise im Jahre 1980 und für die Wanderung in der englischen Grafschaft Suffolk im Jahre 1992 ist weitgehend derselbe: einer besonders unguten Zeit und einer sich ausbreitenden inneren Leere zu entkommen. Die Alpenreise blieb unter therapeutischen Gesichtspunkten ein Fehlschlag, die Wanderung war, wenn auch mit Einschränkungen, ein Erfolg. Ein Jahr nach der so genannten englischen Wallfahrt stellen sich allerdings somatische Symptome bis hin zu einer nahezu gänzlichen Unbeweglichkeit ein, die die Niederschrift des Erlebnisberichtes verzögern. Nach der die Beschwerden heilenden Operation setzt der Erzähler zunächst seine Nachforschungen über Thomas Browne fort, eine Dekade zuvor, in Venedig, war er mit Nachforschungen zu dem in den Bleikammern des Dogenpalastes inhaftierten Casanova beschäftigt, die Themenwahl in beiden Fällen kein Garant für Frohsinn und Glück. Und doch, nach der notwendig gewordenen Operation war das Bewußtsein des Erzählers von einem Dunstschleier verhangen gewesen, ähnlich dem Browne zufolge aus einem frisch geöffneten Körper aufsteigenden weißen Dunst, ein Dunstschleier, durch den er wie ein Ballonreisender schwerelos dahinglitt. An sein Ohr drangen durch die dröhnende Leere die Stimmen der beiden ihn betreuenden Krankenschwestern, Katie und Lizzie hießen die Wesen, die ihn umschwebten, und er glaubte, nur selten so glücklich gewesen zu sein wie unter ihrer Obhut in dieser Nacht. Von dem, was sie sagten hörte er nur die auf und ab gehenden Töne, Naturlaute, ein vollendetes Klingen und Flöten wie Engelsmusik, kurz gesagt, das Paradies inmitten des gesundheitlichen Unheils. Im Rahmen der Italienreise wird ein vergleichbarer Augenblick der Seligkeit vermißt und tatsächlich stellt er sich erst mit siebenjähriger Verspätung bei der zweiten Reise ein, unerwartet und aus heiterem Himmel aber auch in diesem Fall. In der Veroneser Goldenen Taube ist wider alles Erwarten ein dem Erzähler in jeder Hinsicht aufs beste zusagendes Zimmer zu haben. Vom Ferdinand Bruckner ähnelnden Portier und der anscheinend eigens in der Halle sich einfindenden Geschäftsführerin wird er, der gewöhnlich schlecht bedient wird, mit ausgesuchter Zuvorkommenheit behandelt, den Ausweis muß er nicht vorzeigen. Die Nachtruhe unter dem Dach der Goldenen Taube wie das sich anschließende, nur als würdevoll zu beschreibende Frühstück grenzten ans Wunderbare. Dies bei vollem Verstand erlebte konventionelle Glück, auch wenn es der Erzähler noch um einiges dekorativer ausschmückt als hier wiedergegeben, erreicht naturgemäß nicht die Tiefe des drogenbeförderten postoperativen Glücks im englischen Hospital, zumal auch der aus einer Einbettung in ein umgebendes Unheil unmittelbar wirkende Kontrast fehlt. - Auf Augenblicke der Seligkeit, geschöpft aus dem Reservoir seiner Archetypen und unbewußten Themen, konnte der Dichter, der vorgeblich nur schlicht von sich selbst und seinem Leid erzählt, nicht verzichten.
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