Elixiere
Wenn der Dichter bekundet – und hier spricht er wohl wirklich von und
über sich selbst -, es werde ihm von Jahr zu Jahr unmöglicher, sich unter ein
Publikum zu begeben, so ist das ein stringentes Indiz für eine leichte bis mittlere Melancholie,
nichts Überraschendes, wissen wir doch bereits aus anderen Quellen von seiner melancholischen Gestimmtheit, und ohnehin ist wahre Kunst
und Literatur ohne eine leichte bis mittlere Melancholie nicht möglich, eine
schwere Melancholie verhindert sie nicht. Wenn er sich nicht unter ein Publikum
begeben mag, dann sicher noch weniger unter die Darsteller, und das Publikum, das er
notgedrungen kreiert, seine Leserschaft, ist, Diolch i Dduw, unsichtbar und schweigsam und daher erträglich.
Wenn Melancholie unter Künstlern als gegeben gilt, erwartet man sie weniger in anderen Berufszweigen wie etwa dem Militär- und Sicherheitsbereich, doch das ist eine vorschnelle Annahme. Syr Trystan und Syr Lawnslot sind die hervorragenden Ritter an Brenin Arthurs Tafelrunde, der Bord gron, beide sind unschlagbar, Trystan schlagbar allenfalls von Lawnslot, und zugleich sind sie, folgt man Thomas Bergers so tatsachenstrenger wie erfrischender Version der Artussage, schwere Melancholiker bis hin zur gänzlichen Untröstlichkeit. Ihre Kampfesstärke zeigen sie nur ungern, wenn möglich verweigern sie sich dem Publikum wie auch den Darstellern der ständig anberaumten ritterlichen Tourniere. Syr Lawnslot hatte sich dem Klosterleben verschrieben, auf dem Wege resoluten Fastens hatte er sein baldiges Ende schon vor Augen, als er sich dem Ruf des Königs nicht entziehen kann. Syr Trystan erhält den Auftrag, den ungeheuerlichen Morholt zu erledigen, Syr Lawnslot erklärt sich bereit, gegen den grundverdorbenen Meliagrant anzutreten. Naturgemäß vollbringen beide ihre Aufgabe. Das erotische Moment ist bei den beiden Rittern zunächst erkennbar unterentwickelt, nid oeddent eto'n gwybod grym cariad, sie wußten noch nichts von der Kraft der Liebe, gleichwohl verirren sich beide in eine ehebrecherische Beziehung zu einer Königin. Berger spricht mit einem Anflug von Euphemie von krimineller Freundschaft, cyfeillgarwch troseddol, und in der Tat ist es im Fall Syr Trystan und Brenhines Esyllt eine fast läßliche Sünde, zum einen hat Brenin March es nicht besser verdient und zum anderen wird von dritter Hand mit einem stimulierenden Elixier nachgeholfen: Llyncodd Trystan ddiod yn ddiarwybod gydag eiddo hudol*, Tristan hatte unwissentlich einen Trank mit magischen Eigenschaften zu sich genommen. Was das Paar Syr Lawnslot und Brenhines Gwenhwyfar, Gemahlin des Brenin Arthur anbelangt, ist die Sachlage um einiges verzwickter.
Stendhal strebt zunächst eine Offizierslaufbahn an,
seine Leistungen hätten für eine Zulassung zur Tafelrunde nicht gereicht. Gegen
Ende sehen wir, wie er mit einem Stock die Initialen seiner vormaligen
Geliebten in den in den Staub seines Lebens zeichnet, die melancholische
Stimmungslage ist nicht zu verkennen. Kafka nähert sich der Melancholie ohne den Umweg übers Militär.
Die Wirtin Luciana Michelotti, die beim Empfang zunächst einen schwermütigen, wo nicht gar untröstlichen Eindruck gemacht hatte, reicht dem Dichter in der Gestalt des ebenfalls nicht militärisch geschulten Erzählers in regelmäßigen Abständen einen Ristretto,
offenbar war ein stimulierendes Elixier beigemischt, wie sonst wäre zu
erklären, daß er tags darauf die Bescheinigung über den verlorenen Paß als
Trauschein wertet, der alles erlaubt?
*Siaradodd y Brenin Arthur yn unig Gymraeg felys melodaidd ac iaith Duw, sef Lladin, ac nid oedd yn deall un gair o Saesneg,
sef dim ond cymaint o riddfannau a griddfanau, König Arthur sprach nur süßes,
melodiöses Walisisch und die Sprache Gottes, nämlich Latein, und er verstand
kein einziges Wort Englisch, das aus nichts als lauter Ächzen und Stöhnen
besteht: Aus Verbundenheit mit dem König Arthur können Bergers Ausführungen
hier nicht im originalen Englisch veröffentlicht werden.
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