Ego sum
Polnische Medienvertreter, so Rymkiewicz, lügen immer, ein polnischer Journalist lüge auch dann, wenn er sagt, Mickiewicz habe das Versepos Pan Tadeusz geschrieben. Die Journalisten seien durchweg wie der König Midas, mit der Maßgabe, daß in ihren Händen nichts zu Gold und alles zu Mist (gówno) wird. Eine harte Ansprache, der nachzugehen ist.
Wer regelmäßig lügt, lügt auch dann, wenn sich ihm eine Wahrheit in den Weg stellt, der er nicht ausweichen kann, in einem infizierten Mund wird die Wahrheit zur Lüge. Niemand, der sich ansatzweise auskennt in der Polonistik zweifelt daran, daß Mickiewicz der Verfasser des Pan Tadeusz ist, es geht also nicht um den üblichen Begriff der Lüge. Das Spektrum der Lüge hat sich erweitert, wenn nicht verschoben. Journalisten sind ihrem Idealbild gemäß tatsachenorientiert, nun weiß man aus der Geschichtsbetrachtung sowohl Sebalds als auch Rymkiewiczs wie schwankend Tatsachen sind. Über die Schlacht bei Austerlitz läßt sich als Fazit nur sagen, daß das Geschehen hin und her wogte, den Delinquenten, der zum Galgen geführt wird, hat der eine in einem roten Mantel gesehen, der andere in einer grünen Jacke und so fort, wo der eine Stiefel sieht, sieht der andere Sandalen, bei Zeugenaussagen in unserer Zeit ist es nicht anders. Des weiteren sind Journalisten auf interessante, die Leser stimulierende Tatsachen, wenn sie denn so heißen sollen, erpicht, und, am fatalsten wohl, sie verstehen es kaum, mit ihrer Meinung auch nur für eine kurze Zeit hinterm Berg halten. Auf diesem Weg verwandelt sich die zu Zeitung und Fernsehen gewordene Welt aus Rymkiewiczs Sicht in einen Misthaufen. Mögen es auch lauter Tatsachen im üblichen Sinn sein, die Verwandlung in Lügen beruht für Menschen mit empfindsamen Ohren und Augen auf den falschen Tönen, sogar Mickiewicz und Pan Tadeusz bekommen einen unguten Klang. - Offenbar aber waren die Journalistinnen und Journalisten, mit denen Rymkiewicz die Rozmowy Polskie führt, von dem auf ihrer Berufsgruppe lastenden Fluch befreit, nicht zuletzt la wyjątkowo ładna Justyna Sobolewska.
Wechselt man von Journalismus zur Schriftstellerei, zum Roman und zu Prosastücken unbestimmter Art, stellt sich die Wahrheitsfrage ganz anders, Fiktion kann durchweg als eine Form der Lüge angesehen werden. Viele fühlen sich daher in ihrem Wahrheitsverlangen beruhigt durch die beliebte Verlagsangabe Nach einer wahren Begebenheit. Auch Krieg und Frieden beruht auf einer wahren Begebenheit, Napoleons Feldzug in Rußland, kaum jemand aber sieht in diesen Umstand den Glanz des Buches, der reale Napoleon fällt ab gegenüber der fiktiven Natascha Rostowa. Sollte man in der Fiktion weniger eine Form der Lüge als ein Serum oder einen Antikörper gegen das Lügen sehen? Dazu hat Drosten sich noch nicht geäußert.
In Sebalds Prosaschriften unbestimmter Art gibt es immer zumindest eine wahrhaftige Gestalt, die des Autors als Icherzähler. Es fehlt aber gänzlich der klassische und immer fehllaufende autobiographische Impuls, die Wahrheit über sich selbst zu berichten. Das Ich gewinnt keine erkennbaren Konturen. Was über Heim, Familie und Beruf berichtet wird, ist mehr als sparsam, zur Erkundung des Ich wäre es ohnehin kaum hilfreich. Vielleicht eignet sich kein Gegenstand weniger für die Wahrheitssuche als das eigene Ich. Man kennt sich nicht, man sieht sich nicht, im Spiegel sieht man in normalen Zeiten ein beruhigtes, verfälschtes Abbild seiner selbst. Während seiner Verwandlung zum Clochard in Wien schaut der Erzähler auf sein sich in Fetzen auflösendes Schuhwerk, in den Spiegel schaut er nicht. Schwindelgefühle vernebeln ihm die Welt, er hat die Übersicht über sich verloren. Ist er eher in der Wahrheit oder eher in der Lüge? Stachuras Alter Ego Jan Pradera, der ohnehin nur schwebend existiert, sieht immer wieder einen Dunst, mgła, vom Boden her aufsteigen, ein Phänomen nicht der Meteorologie, sondern der Seele.
Polnische Medienvertreter, so Rymkiewicz, lügen immer, ein polnischer Journalist lüge auch dann, wenn er sagt, Mickiewicz habe das Versepos Pan Tadeusz geschrieben. Die Journalisten seien durchweg wie der König Midas, mit der Maßgabe, daß in ihren Händen nichts zu Gold und alles zu Mist (gówno) wird. Eine harte Ansprache, der nachzugehen ist.
Wer regelmäßig lügt, lügt auch dann, wenn sich ihm eine Wahrheit in den Weg stellt, der er nicht ausweichen kann, in einem infizierten Mund wird die Wahrheit zur Lüge. Niemand, der sich ansatzweise auskennt in der Polonistik zweifelt daran, daß Mickiewicz der Verfasser des Pan Tadeusz ist, es geht also nicht um den üblichen Begriff der Lüge. Das Spektrum der Lüge hat sich erweitert, wenn nicht verschoben. Journalisten sind ihrem Idealbild gemäß tatsachenorientiert, nun weiß man aus der Geschichtsbetrachtung sowohl Sebalds als auch Rymkiewiczs wie schwankend Tatsachen sind. Über die Schlacht bei Austerlitz läßt sich als Fazit nur sagen, daß das Geschehen hin und her wogte, den Delinquenten, der zum Galgen geführt wird, hat der eine in einem roten Mantel gesehen, der andere in einer grünen Jacke und so fort, wo der eine Stiefel sieht, sieht der andere Sandalen, bei Zeugenaussagen in unserer Zeit ist es nicht anders. Des weiteren sind Journalisten auf interessante, die Leser stimulierende Tatsachen, wenn sie denn so heißen sollen, erpicht, und, am fatalsten wohl, sie verstehen es kaum, mit ihrer Meinung auch nur für eine kurze Zeit hinterm Berg halten. Auf diesem Weg verwandelt sich die zu Zeitung und Fernsehen gewordene Welt aus Rymkiewiczs Sicht in einen Misthaufen. Mögen es auch lauter Tatsachen im üblichen Sinn sein, die Verwandlung in Lügen beruht für Menschen mit empfindsamen Ohren und Augen auf den falschen Tönen, sogar Mickiewicz und Pan Tadeusz bekommen einen unguten Klang. - Offenbar aber waren die Journalistinnen und Journalisten, mit denen Rymkiewicz die Rozmowy Polskie führt, von dem auf ihrer Berufsgruppe lastenden Fluch befreit, nicht zuletzt la wyjątkowo ładna Justyna Sobolewska.
Wechselt man von Journalismus zur Schriftstellerei, zum Roman und zu Prosastücken unbestimmter Art, stellt sich die Wahrheitsfrage ganz anders, Fiktion kann durchweg als eine Form der Lüge angesehen werden. Viele fühlen sich daher in ihrem Wahrheitsverlangen beruhigt durch die beliebte Verlagsangabe Nach einer wahren Begebenheit. Auch Krieg und Frieden beruht auf einer wahren Begebenheit, Napoleons Feldzug in Rußland, kaum jemand aber sieht in diesen Umstand den Glanz des Buches, der reale Napoleon fällt ab gegenüber der fiktiven Natascha Rostowa. Sollte man in der Fiktion weniger eine Form der Lüge als ein Serum oder einen Antikörper gegen das Lügen sehen? Dazu hat Drosten sich noch nicht geäußert.
In Sebalds Prosaschriften unbestimmter Art gibt es immer zumindest eine wahrhaftige Gestalt, die des Autors als Icherzähler. Es fehlt aber gänzlich der klassische und immer fehllaufende autobiographische Impuls, die Wahrheit über sich selbst zu berichten. Das Ich gewinnt keine erkennbaren Konturen. Was über Heim, Familie und Beruf berichtet wird, ist mehr als sparsam, zur Erkundung des Ich wäre es ohnehin kaum hilfreich. Vielleicht eignet sich kein Gegenstand weniger für die Wahrheitssuche als das eigene Ich. Man kennt sich nicht, man sieht sich nicht, im Spiegel sieht man in normalen Zeiten ein beruhigtes, verfälschtes Abbild seiner selbst. Während seiner Verwandlung zum Clochard in Wien schaut der Erzähler auf sein sich in Fetzen auflösendes Schuhwerk, in den Spiegel schaut er nicht. Schwindelgefühle vernebeln ihm die Welt, er hat die Übersicht über sich verloren. Ist er eher in der Wahrheit oder eher in der Lüge? Stachuras Alter Ego Jan Pradera, der ohnehin nur schwebend existiert, sieht immer wieder einen Dunst, mgła, vom Boden her aufsteigen, ein Phänomen nicht der Meteorologie, sondern der Seele.
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