Zu zweit
Becketts Helden sind in der Mehrzahl zu zweit unterwegs, Mercier und Camier, Estragon und Wladimir, andere noch. Der Erzähler, Adroddwr, scheint allein zu reisen, tatsächlich handelt es sich oft um verdeckte Duos, besser gesagt Duos, für die es zu spät ist, Kafka, Bereyter, Adelwarth sind die toten Reisegefährten, in den Schwindel.Gefühlen streift zudem das Duo der Untoten, Gracchus und Giorgio, umher. In Austerlitz endlich kommt es zu einer Paarbildung zweier Lebender, ein enges Beisammen ist es nicht. Weitaus näher bei Beckett sind die Helden des in Polen zu Recht geliebten, in Deutschland, so unverständlich wie unverzeihlich, fast unbekannten Edward Stachura, STachura EDward, Sted, wie er sich selbst genannt hat und wie ihn seine Leser heute noch nennen, lange nach seinem frühen Tod. Wie es scheint, ist nichts, weder die Lyrik noch die Prosa, ins Deutsche übersetzt. Im Roman Cała jaskrawość, All das gleißende Licht, haben wir es mit dem Erzähler Mundek (Edmund Szerucki) und seinem Freund Witek (Wincenty Rozański) zu tun, zwei Saisonarbeiter mit intellektuellem Hintergrund beim Säubern eines Wasserreservoirs, in dem anderen Roman Siekierezada, Tausendundeine Axt, stoßen wir auf Pradera als Erzähler - der sich unter bestimmten Bedingungen immer wieder alternativ auch als emanuel delawarski vorstellt - und Peresada, zwei Saisonarbeiter beim Holzfällen. Witek und Mundek vor allem sind ein vorbildliches Paar, unzertrennlich wie Becketts, konfliktfrei wie Sebalds Helden, ein Herz und eine Seele, kumpli. Gern wäre man dabei, sed tertius non datur, wie man Stachura zufolge in Island sagt.
Grundlage der Erzählung ist der polnische Alltag mit Alkohol und Zigaretten, mit Trinkgelagen oder auch Ausflügen an arbeitsfreien Tagen, wódka to jest człowiek, z którym można porozmawiać, der Wodka ist ein Mensch, mit dem gut reden ist. Jak przyjemnie jest opowiadać o tych newinnych sprawach, wie angenehm ist es, von diesen unschuldigen Dingen zu erzählen. Erzählt wird von den unschuldigen Dingen mit einer Milde und Freundlichkeit, wie sie in der polnischen Prosaliteratur selten ist. Besondere Rücksichtnahme und Zuneigung gilt den alten Frauen, in deren Haus die Saisonarbeiter ihr Quartier haben, eine drohende Schlägerei verwandelt sich unversehens in Freundschaft und selbst der Berserker, den man an Mord und Todschlag nur dadurch hindert, daß man ihm immer neue Möbel in den Weg stellt, die er dann umgehend zertrümmert, selbst er wird nach dem Amok, als er erschöpft dasitzt, mit freundlichem Mitleid bedacht. Immer wieder stößt man auf Sätze in Becketts Tonfall, insistierende Exaktheit bei Belanglosigkeiten etwa: Und geradeso, wie wir zuvor an der Böschung entlanggegangen waren, einfach drauflos, als würden wir ewig so gehen, so saßen wir jetzt da. Identisch. So als würden wir für immer so sitzen. Für die Ewigkeit. So saßen wir da. Im gleichen Stil. Im gleichen Geist. Denn so war unter anderem unsere Beziehung zu dieser Welt. - Sted bleibt dieser einen Sprachebene aber nicht treu. Immer wieder erleben wir seltsame, geradezu metaphysische Auf- und Abschwünge. A potem opadł mnie nagle smutek, plötzlich aber überfiel mich Traurigkeit. Jak długo można gryźć metal, jak długo można jeść rdzę, wie lange kann man am Metall nagen, wie lange kann man Rost essen? Wo aber Not ist, wächst das Rettende auch: Oto jesteśmy, których kochasz nas i którzy ciebie kochamy, hier sind wir, die du uns liebst und die dich lieben: pory roku, die Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Tage und Nächte, Monate, Dekaden, Zikaden, Wochen, Stunden, Eisenbahnschienen, Wege, Irrwege, oh, die wunderbaren Irrwege, Vögel, Fische, Böcke, Musikinstrumente aller Art … i tak dalej, Wörter, die als Wortgeröll irgendwann abstürzen zum Ausgangspunkt. Die Übergänge werden nicht als Brüche erlebt, wir lesen eine sich ständig bewegende, atmende Prosa mit großer Amplitude, cała nędza i cała wielkość, alle Not und alle Größe.
Und dann habe ich alles im gleißenden Licht gesehen. Das Ganze. All das Grelle. Ja, nun ist es gut. In greller Klarheit habe ich gesehen, es geht nicht um den Tod, nicht um das Leben, nicht um Sinn und Unsinn, nicht um das menschliche Wesen und das Sein, nicht um Grund und Folge, nicht um Materie und Geist, nicht um Herz und Verstand, nicht um Gut und Böse oder um Licht und Dunkelheit. Es geht um all das gleichzeitig, angereicht auf einem Tablett. - An bipolarer Störung leidend und dem gleißenden Licht nicht länger gewachsen hat Sted Stachura sich 1979 im Alter von einundvierzig Jahren umgebracht.
Becketts Helden sind in der Mehrzahl zu zweit unterwegs, Mercier und Camier, Estragon und Wladimir, andere noch. Der Erzähler, Adroddwr, scheint allein zu reisen, tatsächlich handelt es sich oft um verdeckte Duos, besser gesagt Duos, für die es zu spät ist, Kafka, Bereyter, Adelwarth sind die toten Reisegefährten, in den Schwindel.Gefühlen streift zudem das Duo der Untoten, Gracchus und Giorgio, umher. In Austerlitz endlich kommt es zu einer Paarbildung zweier Lebender, ein enges Beisammen ist es nicht. Weitaus näher bei Beckett sind die Helden des in Polen zu Recht geliebten, in Deutschland, so unverständlich wie unverzeihlich, fast unbekannten Edward Stachura, STachura EDward, Sted, wie er sich selbst genannt hat und wie ihn seine Leser heute noch nennen, lange nach seinem frühen Tod. Wie es scheint, ist nichts, weder die Lyrik noch die Prosa, ins Deutsche übersetzt. Im Roman Cała jaskrawość, All das gleißende Licht, haben wir es mit dem Erzähler Mundek (Edmund Szerucki) und seinem Freund Witek (Wincenty Rozański) zu tun, zwei Saisonarbeiter mit intellektuellem Hintergrund beim Säubern eines Wasserreservoirs, in dem anderen Roman Siekierezada, Tausendundeine Axt, stoßen wir auf Pradera als Erzähler - der sich unter bestimmten Bedingungen immer wieder alternativ auch als emanuel delawarski vorstellt - und Peresada, zwei Saisonarbeiter beim Holzfällen. Witek und Mundek vor allem sind ein vorbildliches Paar, unzertrennlich wie Becketts, konfliktfrei wie Sebalds Helden, ein Herz und eine Seele, kumpli. Gern wäre man dabei, sed tertius non datur, wie man Stachura zufolge in Island sagt.
Grundlage der Erzählung ist der polnische Alltag mit Alkohol und Zigaretten, mit Trinkgelagen oder auch Ausflügen an arbeitsfreien Tagen, wódka to jest człowiek, z którym można porozmawiać, der Wodka ist ein Mensch, mit dem gut reden ist. Jak przyjemnie jest opowiadać o tych newinnych sprawach, wie angenehm ist es, von diesen unschuldigen Dingen zu erzählen. Erzählt wird von den unschuldigen Dingen mit einer Milde und Freundlichkeit, wie sie in der polnischen Prosaliteratur selten ist. Besondere Rücksichtnahme und Zuneigung gilt den alten Frauen, in deren Haus die Saisonarbeiter ihr Quartier haben, eine drohende Schlägerei verwandelt sich unversehens in Freundschaft und selbst der Berserker, den man an Mord und Todschlag nur dadurch hindert, daß man ihm immer neue Möbel in den Weg stellt, die er dann umgehend zertrümmert, selbst er wird nach dem Amok, als er erschöpft dasitzt, mit freundlichem Mitleid bedacht. Immer wieder stößt man auf Sätze in Becketts Tonfall, insistierende Exaktheit bei Belanglosigkeiten etwa: Und geradeso, wie wir zuvor an der Böschung entlanggegangen waren, einfach drauflos, als würden wir ewig so gehen, so saßen wir jetzt da. Identisch. So als würden wir für immer so sitzen. Für die Ewigkeit. So saßen wir da. Im gleichen Stil. Im gleichen Geist. Denn so war unter anderem unsere Beziehung zu dieser Welt. - Sted bleibt dieser einen Sprachebene aber nicht treu. Immer wieder erleben wir seltsame, geradezu metaphysische Auf- und Abschwünge. A potem opadł mnie nagle smutek, plötzlich aber überfiel mich Traurigkeit. Jak długo można gryźć metal, jak długo można jeść rdzę, wie lange kann man am Metall nagen, wie lange kann man Rost essen? Wo aber Not ist, wächst das Rettende auch: Oto jesteśmy, których kochasz nas i którzy ciebie kochamy, hier sind wir, die du uns liebst und die dich lieben: pory roku, die Jahreszeiten, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Tage und Nächte, Monate, Dekaden, Zikaden, Wochen, Stunden, Eisenbahnschienen, Wege, Irrwege, oh, die wunderbaren Irrwege, Vögel, Fische, Böcke, Musikinstrumente aller Art … i tak dalej, Wörter, die als Wortgeröll irgendwann abstürzen zum Ausgangspunkt. Die Übergänge werden nicht als Brüche erlebt, wir lesen eine sich ständig bewegende, atmende Prosa mit großer Amplitude, cała nędza i cała wielkość, alle Not und alle Größe.
Und dann habe ich alles im gleißenden Licht gesehen. Das Ganze. All das Grelle. Ja, nun ist es gut. In greller Klarheit habe ich gesehen, es geht nicht um den Tod, nicht um das Leben, nicht um Sinn und Unsinn, nicht um das menschliche Wesen und das Sein, nicht um Grund und Folge, nicht um Materie und Geist, nicht um Herz und Verstand, nicht um Gut und Böse oder um Licht und Dunkelheit. Es geht um all das gleichzeitig, angereicht auf einem Tablett. - An bipolarer Störung leidend und dem gleißenden Licht nicht länger gewachsen hat Sted Stachura sich 1979 im Alter von einundvierzig Jahren umgebracht.
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