Sonntag, 25. Juli 2021

Jasny pobyt nadrzeczny

Heller Aufenthalt am Flußufer

Der Erzähler findet im Bahnhof Venedig zwei Augenpaare auf sich gerichtet. Es kommt ihm vor, als seien ihm die beiden jungen Männer, die, wie er sich nicht nur einbildete, zu ihm herüberschauten, seit seiner Ankunft in Venedig schon mehrfach begegnet. In Verona nimmt er im tiefen Schatten der jenseitigen Hälfte der Arena zwei Gestalten wahr, bei denen es sich bei genauerem Hinsehen zweifellos um die beiden jungen Männer aus der Ferrovia Venezia handelte. Sie erhoben sich, und es dünkte ihn, als verbeugten sie sich gegeneinander, ehe sie im Dunkel des Ausgangs verschwanden.

 ***

 Der Westen ist schön, aber ein von Tag zu Tag stärker werdender Wille sagt mir steinhart, daß es schon reicht, daß ich mich nicht länger von diesem Ausblick verführen lassen darf, daß ich die Augen abwenden und vom Hügel herabsteigen muß. So soll es also sein. Nicht weit nach Osten, weniger als einen Kilometer entfernt, gibt es eine Wohngegend. Da gibt es Kartoffelfelder. Ich ziehe Jacke und Hose an. Ich wohne am Fluß. Etwas oberhalb des Mittellaufs des größten Flusses im Land wohne ich. Ich habe mich hier versteckt, weil sie mir schon zu dicht auf den Fersen sind. Nur zu gerne würden sie mich finden, dieses Ungeziefer. Sie verfolgen mich schon seit langem. Sie müssen sehr aufgebracht über mich sein. Für sie muß ich ein herrlicher, kühlender Balsam sein. Sie würden mir gern etwas Böses zutun, diese Spürhunde. Vielleicht ist es nicht so schlimm, wie ich sage, aber Vorsicht kann nicht schaden. Sie ist auf jeden Fall gut. Das ist wie eine Massage beim Betreten der Vulkanerde.

Ich wohne am Fluß. Ich habe mir eine Hütte aus Kornweidengarben gebaut, ganze Stöße, schon gebunden, die ich weiter unten am Fluß gefunden hatte. Der Sommer ist in voller Blüte. Meine Haut ist tief gebräunt, ich gehe nur im Slip einher. Um die Hüften trage ich einen Gürtel mit einem Messer, das ich zuvor in einem örtlichen Laden gekauft hatte, so wie auch ein Beil, viel Salz und einige Spiele, alles in Vorbereitung auf den Aufenthalt am Fluß, ich weiß nicht, wie lange noch. Das Salz, die Spiele und das Beil sind in der Hütte untergebracht, in meinem Kornweidenpalast, den ich mit Blättern ausgelegt hatte, damit es nicht von unten, von der Erde her zieht. Rund um die Hütte hatte ich Pfähle eingerammt und einen Graben gelegt, so tief wie möglich, um nicht von einer Herde überrannt zu werden. Das hatte mich viel Arbeit gekostet, weil ich keinen Spaten habe, aber jetzt fühle ich mich sicherer. Gern hätte ich einen Hund an meiner Seite gehabt. Ein Hund hätte mich zutiefst glücklich gemacht.

Gut. Bei der Entfernung sollte ich bereits am Kartoffelfeld sein. Ich ging die ganze Zeit durch das ufernahe Dickicht, warum hätte ich sichtbar sein sollen, warum sollte ich mich fremden Augen zeigen, wenn ich auch ganz normal aussah, aber warum sollte ich jemand einen Anlaß für Nebengedanken geben. Durch das Gebüsch sehe ich im langsam einfallenden Dunkel ein Haus. Ich bin an dem Feld angelangt. Alles ist gut. Ich habe in den Jacken- und Hosentaschen rund fünfunddreißig Kartoffeln, die ich von den Kartoffelpflanzen gepflückt hatte, jeweils einige von verschiedenen Pflanzen. So als sei nichts geschehen, so machte ich es und löschte die Spuren. Als ich mich umschaute, fiel mir die aufgewühlte Erde auf, Wildschweinspuren. Umso besser.

Alles ist gut. Ich sitze am Feuer. Das Holz fürs Feuer hatte ich schon vorher besorgt, vor dem Westen, vor der Betrachtung des herrlichen Sonnenuntergangs. Jetzt sitze ich an meinem kleinen Feuerchen. Mag es noch ein wenig brennen, ein wenig einfallen. Dann lege ich die Kartoffeln in die Glut. Die Mücken sind eine Plage. Ohne das Feuer würden sie mir alles Blut aussaugen. Klarer Himmel über mir und der Umgebung. Zunächst konnte man keine Sterne sehen, aber jetzt sehe ich die fernen Feuerchen, wenn ich länger hingucke. Sie zeigen sich hier und da. Wie viele sind es? Irgendwo habe ich gelesen, es seien hundertundfünfzig Milliarden, und die Fachleute könnten sich höchstens um den Faktor zwei täuschen. Das bedeutet, es können auch dreihundert Milliarden sein. Das ist ein wenig lächerlich, dieser Fehler: höchstens. Außerdem denke ich, es müsse in diesem Buch heißen, die Fachleute könnten sich nur in einer Richtung um den Faktor zwei täuschen, also in Richtung dreihundert. So wie es geschrieben steht, kann ich mir ausrechnen, es seien entweder dreihundert Milliarden oder gar keine, das ist ein wenig albern. Jetzt lege ich aber die Kartoffeln auf die Glut. Ich schaue dahin. Wie weit weg mögen sie sein? Und was sind das für Sterne? Es heißt, das sind ferne leichtende Sonnen, ähnlich unserer Sonne, die vor ungefähr zwei Stunden untergegangen ist. es heißt, auch um diese Sonnen würden Planeten kreisen. Planeten wie die Erde? Ist dort irgendwo ein anderer Erdplanet? Gibt es dort einen ähnlichen Ort am Fluß, eine ähnliche Hütte, eine ähnliche einfallende Nacht, ein ähnliches Feuer, ein junger Mann beim Feuer, der in diesem Augenblick an mich denkt, wie ich an ihn, in diesem Augenblick? Was macht er jetzt? Nimmt er mit einem Stock die Kartoffeln aus seinem Feuer? Kratzt er sie ein wenig ab und legt sie auf die vorbereiteten Blätter? Geht er zur Hütte, steigt über den Graben, legt die Garben beiseite, so als ob er eine Tür zur Hütte öffnen würde, gräbt das Beil aus und das Salz, nimmt ein wenig Salz in die Handfläche und legt den Rest des kostbaren Salzes wieder an seinen Ort, kehrt zum Feuer zurück, in der rechten Hand das Beil, in der linken die Prise Salz? Setzt er sich auf den zwei Tage zuvor vom Flußufer heraufgeschleppten Stamm, schlägt das Beil vor sich in den Boden, schüttet das Salz vorsichtig auf die Kartoffeln? Ob er sich sehnt? Schmecken ihm die Kartoffeln gut, von denen er ungefähr sechzehn ißt, die andern liegen weiter im Feuer in der Glut und mögen dort bleiben, für das Frühstück, denn morgen muß er früh aufstehen, und sich zum Geflügel in einem anderen Bezirk hinbewegen, denn er will keine Verwirrung anrichten, den leichten Verdacht nicht wachsen lassen, so daß er den verfluchten Fuchs sucht, der das schönste Huhn gerissen hat, oder die Ente. Sehnt er sich? Schaut er auf das langsam erlöschende Feuer, ohne etwas zu sehen, mit einem blicklosen Hinschauen, als wolle er durch die Flammen dringen, durch die Glut, durch das tiefe Erdreich, als könne er nicht lassen von dem Schauen, als könne er sich an nichts festhaken und umgekehrt, als fiele er auf die andere Seite, in einen Trichter auf der anderen Seite des Auges, aber am Ende läuft es auf dasselbe hinaus, weil es ihn nicht gibt? Ob er irgendwann erwacht aus diesem tiefen Sturz? Ob er schnell aufsteht  und die Glut mit Erde überschüttet? An die zwanzig Kartoffeln müssen es noch sein am Morgen, für ein frühes Mahl, muß man sich also schon niederlegen? Zieht er das Beil hervor, faßt es ein wenig fester, richtet sich langsam auf der linken Seite schlägt ihm das Messer ans Bein, steht still für einen Augenblick, alles Beben hält inne, daß er keinen Laut verpaßt, das leise Murmeln von der Wasserseite her. Würde er gern einen Hund haben? Würde ihn der Hund unglaublich beglücken? Ist es schon gut? Steht er noch eine Weile da? Ist es schon gut? Geht er zur Hütte seiner Unterkunft und schließt sie von innen mit zwei Garben, als ob er eine Haustür schließe? Zieht er seine Jacke aus und holt den wärmenden Sweater unter den Blättern hervor, zieht ihn an, zieht die Jacke darüber, obwohl es noch ziemlich warm ist, aber bald wird es kalt werden? Legt er das Beil auf der rechten Seite ab? Sehnt er sich sehr? Sehnt er sich schrecklich?

Es ist wohl frühmorgens. Ich war ziemlich durchfroren. Die Kälte hat mich aufgeweckt. Ich schiebe die Garben beiseite und springe aus der Hütte und der letzte Rest Schlaf muß notgedrungen mitspringen. Es ist ein sonniger, blendend heller Morgen. Ich blinzle mit den Augen, es ist zu hell. Die Kälte durchläuft mich von Kopf bis Fuß. Ich ziehe mich schnell aus und laufe zum Fluß. Das Wasser ist durchdringend kalt, aber das ist gut. Nach dem Sprung ins Wasser kehre ich zum Ufer zurück, denn das Blut gefriert mir in den Adern, und das Herz zieht sich zusammen. Ich schlage mit den Armen, laufe im Kreis, springe im Kreis und zur Seite. Das ist die Erholung von der Kälte und, wie ich denke, von allen verborgenen Schmerzen. Ein wenig noch schwenke ich die Arme, ziehe Unterhose, Hose und Hemd an, den Gürtel mit dem Messer. Immer noch ist mir kalt, aber bald wird es herrlich sein. Ich gehe in die Hütte, nehme das Beil und die Decke. Ich komme heraus. Ich wickle das Beil in die Decke, den Sweater und die Jacke und vergrabe dort meinen Müll und mein Hab und Gut, elf Schritte entfernt von der Hütte unter einem Busch. Ich kehre zurück zur Hütte. Stecke ein wenig Salz in die Tasche. Grabe die Kartoffeln aus. Tue sie in den Sack. Werfe ihn über die Schulter und vorwärts. Habe ich die Schleuder in der Tasche? Ja, in Ordnung. Unterwegs nehme ich Steine auf. Voran.

Die Vögel singen. Mein Blut singt. Meine Beine singen. Zuvor war nichts. Jetzt ist der Beginn der Welt. Der erste Tag der Welt. Der erste Morgen des ersten Tages. Ich bin der erste Mensch, das erste makellose Kind dieser Sonnenwelt. Und die Vögel singen, mein Blut singt, und die Garben. Alles singt auf harmonische Weise. Montjoie! Ich gehe nach Südosten am Fluß entlang. Ich war schon deutlich über das gestrige Kartoffelfeld hinaus. Die Sonne hatte schon mein Haar getrocknet. Die Wärme verzaubert mich. Ich spüre, wie sie die letzten kalten Wellen von der Brust und den Schultern vertreibt. Ich setze mich nieder an der kleinen Niederung am Flußufer, offen zum langsam fließenden Wasser. Ich setze mich nieder für das Frühstück. Der Platz ist auf meiner Seite und ist genau richtig für das Frühstück, denn plötzlich fließt mir der Geschmack der Kartoffeln in die Kehle. Ich setze mich also und esse.

Ich verlasse jetzt das Flußufer und gehe Richtung Südosten. Eine Zeitlang gehe ich über den Damm Richtung Nordosten. Zwei Kilometer von hier fließt ein Bach entlang des Deichs. Da muß es prächtige Kieselsteine für die Zwille geben. Ich habe dort auch ein Gebäude entdeckt, etwas wie eine Mühle. Sehr viele Vögel habe ich bemerkt. Ich bin dort vor einigen Tagen vorbeigegangen, als ich den Ort verlassen hatte, zu dem ich auf gut Glück gefahren war, und mich nach einer geeigneten Bleibe umsah, in Sicherheit vor den Verfolgern. Ich sah mich sorgfältig um und fühlte, am Fluß, wo ich jetzt hause, würde ich für längere Zeit einen geeigneten Unterschlupf finden. Herrliche Kiesel! Großartig! Rundlich, geglättet vom Wasser. Ich stieg vom Deich herab über den Bach, und weil beide Seiten voller Sträucher und Brennesseln bewachsen waren, zog ich mich aus, hing mir die Hose um den Hals und stieg ins Wasser, das an einigen Stellen bis zu den Knöcheln reichte, an anderen bis zur Taille. Gehend und watend versuchte ich voranzukommen und gelangte schließlich an einen idealen Ort, Kieselgrund, Goldader. Ich merkte mir diesen Ort.

Jetzt steige ich aus dem Wasser ans Ufer und ziehe die Hose wieder an. Ich ziehe die Zwille hervor und wickle das Gummi von der Gabel ab, richte sie und lege einen der herrlichen Steine auf das Leder. Ich schaue mich um nach irgendeinem Ziel. Auf einem kleinen Baum auf der anderen Seite des Flüßchens sehe ich einen Spatz, aber wozu? Möge er singen und sich freuen. Für den Augenblick bin ich satt, später aber will ich heute noch etwas größeres erjagen, da helfe mir das untrügliche Auge. Da oben rechts auf dem Ast, ajaja! Ich erledigte ihn wie mit einem schnellen unsichtbaren Hieb. Der Spatz konnte sich nicht einmal aufplustern und sitzt regungslos da, der arme Kerl. Gestern habe ich zwei geschossen, denn eine ganze Herde hüpfte so nah um die Hütte herum, als flögen sie direkt in die Tod, wie man sagt. Ich schoß also und erledigte zwei mit einem Kiesel, der Rest entfloh. Ich nahm die zwei, und sie taten mir leid, aber ich sagte mir, es dürfe mir nicht leid tun, aber nicht deswegen, weil es ohnehin nichts mehr nutzt. Ich rupfte die beiden, briet  sie und aß die halbe Portion. Bis heute noch hatte ich ein wenig Fleisch zwischen den Zähnen, Sei’s drum. Ja. Wenn es heute gelingt, für zwei Tage mindestens, dann verspreche ich den Spatzen ein ruhiges Fliegen um mich herum und zusätzlich Kopf- und Handstand.

Ich bewege mich frei zwischen den Büschen und Bäumen, denn durch sie hindurch sehe einige große Bäume in hundert Meter Entfernung, das Rauschen des Wassers nimmt zu. Das ist sicher das große Gebäude mit der Mühle. Auf der rechten Seite erhebt sich ein Hang mit einer hohen Böschung. Ich gehe am linken Flußufer, gehe aber auf die andere Seite, denn auf meiner Seite erhebt sich ein geradezu unmögliches Dickicht, und ich will keinen Lärm machen, wenn ich mich hindurchzwänge. Ich kremple die Hosenbeine auf und gehen durchs Wasser. Hier müssen Krebse sein. Das Wasser umspült das Ufer und die Baumwurzeln, das ist genau das richtige für Krebse. Ich gehe noch langsamer und sehr vorsichtig, obwohl der Lärm des Fließwassers zunimmt, aber ich denke, daß für die Hühner, die Hunde und auch die Bewohner das Lärmen des Wassers so vertraut ist, daß sie es nicht mehr hören und es für Stille halten. Daß es jenseits ihres Hörvermögens ist. In diesem Fall wäre mein lautes Vordringen für sie keineswegs übertönt vom Wasser, das sie gar nicht hören. Also bewege ich mich sehr möglichst still voran, trotz des Rauschens, obwohl durchaus möglich ist, daß es alles übertönt.

Da ist es. Genau gesagt zwei. Beide weiß. Ich sehe sie in ungefähr zwanzig Meter Entfernung. Sie sind hier am Wasser. Das Rauschen muß aber wohl alles übertönen. Was ich gedacht hatte, kann wohl nicht stimmen, aber vorsichtig. Ich nehme die Zwille und lege den schönsten Kiesel ein. Ich gehe sehr langsam in die Knie. Ich komme ihnen hinter den sehr gelegenen Büschen um drei, fünf, acht und jetzt sogar um zehn Meter näher. Weiter ist der Blick frei und für den Augenblick ist kein Weiterkommen, auf zehn Meter Entfernung aber triffst du vielleicht nur einen Flügel oder das Hinterteil, das ist nicht tödlich und hat ein großes Gegacker zur Folge, und ich muß erschrocken verschwinden. Aber jetzt hat ein Huhn etwas entdeckt, einen Wurm vielleicht, ich sehe es durch das Geäst, das andere Huhn ist jetzt auch aufmerksam geworden und läuft zum erste, das erste flieht und zwar in meine Richtung, jetzt ist es mir sehr nah.

Alles ist gut. Oft ist am Ende alles gut. Damit will ich nichts sagen. Es ist einfach nur gut. Ich gehe auf dem Damm. Vorher ging ich am Fluß, und noch vorher war ich an die dreißig Meter durchs Wasser gegangen, zum großen Ärger für die Spürhunde. Ich gehe auf dem Damm. Jetzt kommt mir ein Mensch auf einem Fahrrad entgegen. Das Huhn unterm Hemd schiebe ich von vorn auf den Rücken. Warum sollte ich ihm einen Anlaß für schräge Gedanken bieten, wenn er sieht, daß ich etwas unterm Hemd trage. Und woher kann ich wissen, daß er nicht in eben dem Gebäude wohnt, und wenn er abends am Eßtisch sitzt, bemerkt seine Frau den Verlust eines Huhns und sagt es ihm, und er erinnert sich, daß er auf dem Damm so einen Schurken gesehen hat, der etwas hatte, der etwas unterm Hemd verborgen hatte, der Hundesohn – und irgendwann sieht er mich wieder, das muß nicht morgen oder übermorgen sein, und ich muß fliehen oder mit ihm kämpfen oder rufen, was soll das, mein Vater hat zweitausend Hühner in unserer Farm und jeden Tag gibt es bei uns Hühnersuppe. Jetzt ist er an mir vorbei, und ich ziehe das Huhn wieder vom Rücken an die Brust, denn woher kann ich wissen, daß er sich nicht umschaut, daß er mich nicht von hinten sehen will und dabei diesen seltsamen Buckel entdeckt, und alles wäre nur noch schlimmer, woher soll ich das wissen?

Aber wie unerwartet und blitzartig das ablief. Ich konnte nicht einmal die Zwille aus dem Mund nehmen. Sie war im übrigen überflüssig. Das erste mit dem Wurm ließ ich unbeachtet und stürzte mich auf das zweite, denn ich sah, daß es unverwandt auf den Wurm im Schnabel des anderen starrte, der vielleicht herausfallen würde, aber genug davon. Ich drehte ihm den Hals um, es zappelte aber noch einige Minuten zwischen meinen Knien. Ich wußte aber, das waren die Nerven, denn ich hatte einigemal gesehen, wie eine Bauersfrau einem Huhn den Kopf abhackte, es dann auf die Erde warf, es sprang in die Höhe, gute fünfzehn Meter weit. Die Sonne hatte schon ein Viertel der Hemisphäre durchlaufen und brannte mir auf das Hemd. Vielleicht ziehe ich es auf und wickle die Beute darin ein, das ist dann weniger verdächtig. Ich gehe immer noch über den Damm nach Südosten. Der Himmel ist klar über mir, und die finden mich nicht so schnell. Schultern habe ich wie aus Kupfer nach fünf oder sechs Tagen des klaren Aufenthalts. Wer schützt mich? Wer behütet mich?

Heute werde ich ein sehr köstliches Mahl haben und morgen auch. Ich sitze auf einem Baumstumpf. Auf den Knien habe ich das Huhn und rupfe es. Die Federn lege ich gesondert auf einen Haufen. Ich wickle sie in Papier ein und lege sie nachts unter den Kopf, um ihn ein wenig Weichheit zu offerieren, meinem armen geplagten Kopf, obwohl es ihm im Augenblick recht gut geht, wenn nicht gar großartig: In der Sonne ist er wie gebadet und im Wasser sorglos und voller wachsender Liebe. In Vorbereitung für das köstliche Mittagsmahl breche ich ein paar Zweig zum Feuermachen. Wer schützt mich? Wer behütet mich?

Langsam rückt der Nachmittag heran. Ich habe dem Huhn die Innereien entnommen. Ich habe einen mittelgroßen Stock geschnitzt und das Huhn draufgesetzt. Das Feuer knistert, und der Duft des gebratenen Fleisches verbreitet sich auf das verlockendste. Schon lange hatte ich einen solchen Duft schon nicht mehr in der Nase. Als ich über den Damm zurückging, drang mir der typische Tabakgeruch in die Nase, eine Tabakwelle umgab mich für einige Sekunden. Jemand mußte in der Gegend Tabak pflanzen. Schon lange hatte ich nicht mehr geraucht. Ich hatte es einfach vergessen. Schön ist es am Abend zu rauchen, über dies und jenes nachzudenken, oder zum Beispiel auch jetzt, wenn ich das Huhn über dem Feuer mal nach links und mal nach rechts wende. Morgen werde ich schnuppern und suchen.

Oh, unvergleichlich ist es, im warmen Sand unter dem Himmel zu liegen, wenn der Hunger gestillt und der Atem ruhig ist: ruhig und gleichmäßig, es droht keine Eile auf diesem Inselchen am Flußufer, zweimal habe ich vor dem Abendessen den Fluß durchschwommen, und jetzt liege ich da. Unvergleichlich ist der zärtliche Sonnengott, wenn der Hunger gestillt ist und er mich streichelt. Unvergleichlich sind die leise murmelnden Wellen, in denen die Füße ruhen, nirgends müssen sie hinwandern, nirgend wohin flüchten, sie müssen gar nichts. Ich hätte vor Freude weinen können. Der freie Wille sagt, ich könne mir das leisten. Ich wachte plötzlich auf. Ich sprang hastig auf die Beine, denn es war ein unbeschreiblicher Lärm, ein durchdringendes Getöse dröhnte durch meine schlafenden Ohren und durch den ruhig schlafenden Körper. In dreißig Metern Entfernung, weniger sogar, fuhr ein Flußschiff vorbei mit Leuten, Kindern und anderen, mit großem Geschrei, sie zeigten mit den Fingern auf mich, und ich hörte: ein Wilder, ein Indianer. Ich stand da und wußte nicht, was ich machen sollte, das Herz schlug mir, mehr als kräftig, ich wußte nicht, was tun, so sehr hatte der plötzlich Lärm mich in eine Salzsäule verwandelt. Aber sie verschwanden schon langsam, denn sie fuhren flußaufwärts, und ich fand auch zur normalen rhythmischen Atmung zurück, das Herzflattern ging vorüber, auch die Angst, denn als ich so unerwartet aus meiner Ruhe aufgeschreckt wurde, fuhr mich durch den Kopf, das seien sie, sie hätten mich erwischt, und das sei das Ende von allem.

Alles verschwand langsam in der Ferne. Ich stehe da und schaue ihnen nach, und jetzt sehe ich erst, daß ich nackt bin, vom Kopf bis zum Fuß, wie man sagt. Am meisten, so sehe ich es, steckte ihr Drang, ihre Lust zu schreien dahinter. Ich mußte sehr tief geschlafen haben, um die Annäherung des Bootes nicht gehört zu haben, daß sie mich nicht aufgeweckt hatte. Sie schrien: ein Wilder, ein Indianer. Aber ich entsinne mich jetzt, die größte Freude hatte sie dabei, mich hervorzurufen. Aber sie sind vorbeigefahren. Mögen sie fahren, mögen sie weit reisen, weit entfernte Gegenden besuchen. Die Sonne neigt sich gen Osten, zwei Stunden vielleicht noch. Ich hatte ein paar Stunden lang sehr gut geschlafen. Jetzt werde ich schwimmen. Dann werde ich zum Kartoffelfeld. Aber jetzt schwimme ich erst. Der freie Wille sagt mir, daß ich schwimmen kann. Montjoie.

Ich sitze am Feuer. Vergnüge mich mit den Würfeln. Huhn ist nicht mehr da. Ich dachte, es würde noch für morgen reichen, aber ich habe heute alles verschlungen. Am Nachmittag habe ich mehr als die Hälfte gegessen, und jetzt hatte ich Schwierigkeiten, die lumpigen die fünfundzwanzig Meter vom Ufer bis zur Sandbank zu schwimmen. Dort legte ich mich in den heißen Sand, eine gottgesandte Erholung, und mir war, als könne ich am Abend nicht essen, so unermeßlich satt fühlte ich mich. Aber der Schlaf nahm mir das alles und das Schwimmen hinterließ noch eine größere Leere, denn ich schwamm lange nach den plötzlichen stürmischen Erwachen. Aber wie sie mein Anblick erschreckt hatte! Meine Nacktheit sie verstören mußte. Alle waren auf die eine Seite gelaufen, das hatte ich gesehen, drängten sich einer an den anderen. Leicht hätte einer ins Wasser fallen können, als sie sich da drängten. Dann hätte ich ins Wasser springen und zu ihm hinschwimmen müssen, denn bevor das Schiff hätte halten und ein Boot ins Wasser lassen können, wäre dieser im Wasser, ich weiß nicht, es hing davon ab, wie er schwimmen konnte, die Kleidung aber zieht sehr nach unten, die Strömung hätte ihn erfaßt, er wäre in einen Strudel geraten, er hätte nur noch um sich geschlagen, hätte Angst bekommen, hätte einmal Wasser geschluckt, ein zweites Mal, ein drittes Mal, und ich hätte nur noch einen Leichnam ans Ufer werfen können, einen Kilometer von hier entfernt oder noch mehr. Das Wetter ist für die ganze Zeit hier auf meiner Seite. Es war all die Tage sonnig und abends war es noch warm, heute auch. Wer behütet mich? Die Nacht ist schwarz und unerschöpflich. Am ersten Tag hatte ich mich sehr gefürchtet. Ich hatte ein Feuer angezündet und es gleich wieder gelöscht, als die Flammen aufloderten, so erschreckte mich die Helligkeit. Und tatsächlich war mir dann im Dunklen wohler. Ich war schon nicht mehr so leicht zu entdecken. Aber am zweiten Tag habe ich dann das Feuer schon nicht mehr gelöscht. Damit will ich nicht sagen, daß ich mich nicht fürchtete und mich jetzt nicht fürchte. Ich hatte mich ein wenig eingewöhnt, aber jetzt fürchte ich mich wieder sehr. Aber all das hier ist die Angst wert. Mit jedem Schritt und jeder Sekunde. All das ist die Angst wert. Auf jeden Fall. Ich lege ein wenig Holz aufs Feuer. Jede Bewegung ist meine letzte. Jede Bewegung mag zum Tod führen. In allem ist der Tod größer als alles, als das beste Fleisch, als der klügste Kopf, als die berühmtesten Leute und pompejanische Städte. Ich habe einen Film gesehen: Sieben Siegel. Das war ein Film über den Tod. Ein Film über ihn. Er hatte eine doppelte Gestalt, als Mann in einem dunklen Gewand, er sprach aber auch immer wieder mit einer Frauenstimme. Sein Gesicht war sehr bleich, weder männlich noch weiblich. Die Gestalt war männlich und auch die Bewegungen, aber die Stimme war weiblich. Er wurde also doppelt vorgestellt, sage ich, aber in keiner Weise menschlich, vielmehr dreifach. Zuerst schien mir das Gesicht sehr häßlich zu sein, aber dann bemerkte ich, daß es ausgesprochen ironisch war, ausgesprochen. Und dann bemerkte ich, daß alles eine Unverschämtheit war. Die größte Unverschämtheit der Welt, die ich kenne, war ihm aufgemalt, eingeprägt. Vor allem in den Augen, ganz besonders aber in den dünnen Lippen, so als hätte er Säure geschluckt. Ein Ritter, der gerade von einem Kreuzzug aus dem Heiligen Land zurückgekommen war, spielte Schach mit dem Tod, der Todesfrau, denn sie war gekommen, ihn zu vernichten, ihn in stinkende Luft zu verwandeln. Sie spielten also Schach am Meeresufer. Sie spielten nachts, zwei Nächte schon oder drei. Tagsüber ging der Ritter zum Gebet in die Kirche und zu einem Geistlichen, der eine Kapuze trug, und der Ritter erzählte ihm, daß er Schach spielt mit dem Tod und ihn besiegen will. Wie denn, fragte der Geistliche. Der Ritter sagte, mithilfe einer Kombination von Pferd und Läufer, die der Tod nicht kennt, und die er gerade dort, im Heiligen Land, erlernt hatte. Da drehte sich der Geistliche um, und der Ritter sah, daß es keineswegs ein Geistlicher war, sondern die Todesfrau mit ihrem unverschämten Gesicht. Der Ritter ging. Ging vor sich hin. Aber auf den Straßen und Wegen waren viele Menschen, die sich geißelten, die einen hinten, die anderen vorn, und die von hinten wurden gegeißelt von denen, die ihnen folgten und riesige Kreuze trugen, und der Duft von Weihrauch verbreitete sich, denn im Land wütete eine Seuche, und die Menschen fielen tot um wie die Fliegen, wie man sagt, und sie glaubten, das Geißeln sie retten. Der Ritter schaut sich das alles an. Angst zeichnete sich nicht ab in seinem Gesicht, aber eine große Spannung, eine große Vertiefung der Lage. Dann kam die Nacht und es kam der Tod, die Todesfrau, um das Schachspiel abzuschließen. Der Ritter spielte nur noch auf Zeit, auf Verlängerung. Verzögerte das Setzen der Figuren. Einmal lachte er sogar dem Tod laut entgegen, jetzt käme der endgültige Zug. Aber das war unwahrscheinlich, und man sah, daß der Ritter daran selbst nicht glaubte, und er wußte nicht, warum er das sagte. Wollte er sich Mut machen und vielleicht den Tod gar verspotten mit diesem letzten Zug? Wollte auch er einmal unverschämt sein? Der Film endet damit, daß der Tod und der Richter sowie einige Auserwählte sich bei der Hand halten, auf dem Hügel tanzen, der Tod allen Tänzern voran. Das war ein realistischer Film. Ja. Ich kann nicht sagen, daß ich mich nicht fürchtete. Für einige Zeit schaue ich nach links und nach rechts, als würde ich warten auf die Todesfrau, auf ihre Erscheinung, ihre Einladung zum letzten Schachspiel. Und weil ich nie lüge, dachte ich verzweifelt nach über das Spiel. Ich kann nicht alle Ressourcen aufrufen, wenn ich mit Pan Szwacz spiele oder gar mit Pan Pytlakowski, aber im Spiel mit der Todesfrau mobilisiere ich auch noch die letzten Ecken meines phänomenalen Kopfes, um die Tore der Unsterblichkeit zu finden, um diese verlorenen Tore zu aufzufinden. Als ich fünfzehn Jahre alt war, sagten die Jungens: Wenn du so ein Tarzan bist, dann geh doch mal auf den Russenfriedhof um zwölf Uhr in der Nacht. Zu viert gingen wir zum Friedhof, die anderen blieben stehen am Tor, ich sprang über die Mauer und ging langsam über die Friedhofsallee mit ihren furchterregend großen alten Bäumen. Ich war vielleicht fünfzehn Mater gegangen, als ich auf der linken Seite ein unterdrücktes Geflüster aus den Gräbern hörte. Ich machte kehrt und lief so schnell ich konnte zur Mauer, die ich übersprang, ohne sie mit den Händen oder Füßen zu berühren und haute ab mit den anderen drei wie der Wirbelwind. Erst nach einigen Monaten fand sich die Erklärung für das Geflüster, als nämlich Polizei und Militär den Friedhof umzingelten, denn man hatte dort zwei bewaffnete Banditen entdeckt, die Überfälle verübten und sogar einen Priester ermordet hatten. Das Herz gefror mir, gut nur, daß mir zuvor nicht die Beine erfroren waren. Einige Zeit später ging ich allein auf den Russenfriedhof. Am Tag. Ich versuchte, über die Mauer zu springen, ohne sie mit den Händen zu berühren, ohne mich irgendwo abzustützen, aber es kam nicht zum Sprung. Zuvor hatte mich die schreckliche Angst in die Höhe geschleudert, als sei ich ein Känguruh. Ich lege nichts mehr aufs Feuer. Möge es ausbrennen. Ich denke noch ein wenig über den Tod nach und gehe schlafen. 

 …………

Wieder sitze ich in meiner Behausung am Fluß. Die Sonne war schon untergegangen. Ich schaute nach dem Sonnenuntergang zu. Der freie Wille sagte mir, ich könne mich umschauen, denn zuvor hatte ich meine Behausung verstärkt: Bolzen eingehauen, so daß die Garben von zwei Seiten aus verstärkt sind und der Wind mir das Haus nicht wegbläst, es nicht in die Luft schleudert, es nicht dem Erdboden gleich macht. Das Zentrum hatte ich freigelegt und gesäubert, um dort die im Ort beschafften Vorräte zu lagern. Ich schaffte auch einige Garben für das Feuer herbei. Ich stellte sie zunächst rund um die Behausung ab. Ich nehme an, sie sind noch für eine längere Zeit verwendbar. Dann bin ich lange geschwommen, und dann schaute ich dem Sonnenuntergang zu, diesem beunruhigenden Feuerzeichen. Dann legte ich das Feuer an, die Zwiebeln wurden mit Speck gebraten und mit Brot verzehrt. Jetzt sitze ich am Feuer und rauche eine Zigarette. Seit drei Tagen ist der Mond am Himmel, ein Viertelmond. Er ist noch nicht da, wird sich aber bald zeigen. Im Fluß springen die Fische. Es ist sehr schwül. Das Wasser war heute so warm wie in einem im Schilf versteckten Weiher, nicht aber in einem Fließgewässer. Es ist klar, daß es zu lange gut war. Das muß alles platzen. Der blaue Himmel muß mit einem großen Knall explodieren. Als ich an der Mühle vorbeiging, krähten laut die Hähne, obwohl es Nachmittag war und nicht der frühe Morgen. Ich kann nur mir viel durchgehen lassen. Zu viel wäre gut. Ich weiß, das wäre wunderbar. Für mich weiß ich das genau. Ich sitze da und rauche eine Zigarette. Und denke nach. Ich denke so, als seien es Bogenschüsse: wenn ich sterben würde, würde der andere nicht vor Schmerz aufschreien, sich verfluchen, daß er lebe, er würde auf eine schreckliche und dunkle Art schweigen, der auch nicht, und der nicht und auch er nicht, der große Poet. Der Mond kommt entgegen, der Viertelmond. Ich schaue nach oben und suche die Sterne. Und suche ihn. Bist du dort, Junge? Was machst du in diesem Augenblick? Was denkst du, Junge, nach wem sehnst du dich in diesem Augenblick? Sie sind böse, Junge, aber ihre Worte sind bunt. Ihre Taten heimtückisch, mein Lieber. Die Herzen voller Eigensucht.

*  *  *

Man weiß nicht, wieviel es sind, die ihn jagen, auch hier vielleicht nur zwei Augenpaare, obwohl es so klingt, als seien es mehr. Aus welchem Grund sie ihn jagen, wird nicht gesagt, daß sie ihn wirklich jagen, ist nicht gesichert. Was wollen sie von ihm, was hat er ihnen getan? Ergänzet und als Ausgleich erscheint als Wunschfigur ein Doppelgänger des Erzählers in den Fernen des Alls.

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