Freitag, 9. Juli 2021

Ortschaften

 Mobil 



Wir folgen dem Dichter nach Wien, Venedig, Verona, in verschiedene andere namentlich genannte Ortschaften in Italien, nach Manchester, suchen mit ihm verschiedene ebenfalls namentlich genannte Ortschaften auf Korsika auf, sein Geburtsort aber bleibt im Nebel, er ist mit W. bezeichnet, das mag für Wertach stehen oder auch für Welt, denn was ist der Geburtsort eines jeden zunächst anderes als die Welt, die er erkennt. Wiederholt betont der Erzähler, als Kind und Heranwachsender habe er seine Geburtsgegend kaum jemals verlassen. Mit der Umsiedlung nach England kehren sich die Verhältnisse um, die Leser treffen ihn fast nur noch auf Reisen an, sein Wohnsitz in England ist jetzt verborgen. Stachuras Erzähler erwähnt einige Male seine Geburt und den abschließenden jahrelangen Aufenthalt in Frankreich, der Namen des französischen Geburtsortes wird meistens verschwiegen. Nach der Rückkehr der Familie Stachura, Kinder und Eltern, hat er in Polen keinen festen Bezugsort mehr, die polnischen Städte, in denen er sich oft nur für kurze Zeit aufhält, werden meist nicht mit dem Namen benannt, einmal ist die Hauptstadt des Landes, dann die Stadt mit vielen Kanälen oder die Stadt mit den siebzig Kirchen. Oft aber nicht immer kann man den Namen der Stadt entschlüsseln. Immer wieder ist der Polenrückkehrer auf eine Unterkunft mit Rädern angewiesen. Er nutzt den Bahnverkehr als mobile (etwa in der Erzählung Nocna jazda pociągiem) oder, vorzugsweise, als ruhende Wohnstätte (etwa in der Erzählung Plynięcie czasu), Übernachtungen also in einem rollenden oder in einem für eine kürzere oder längere Zeit auf dem Bahnhofsgelände abgestellten Zug. Die Reisen haben oft kein Ziel: Ich saß in einem Zug, ich fuhr nicht, weil ich irgendwo hin wollte. Das gilt auch für scheinbare Zielorte: Ich stieg aus, warum weiß ich nicht. Die Prosa vermittelt ein Leben in der Schwebe, fast ohne Bodenberührung, ein sommerliches Liegen im Gras erscheint da schon als märchenhaft. Für den Dichter ist die Lage nicht grundsätzlich anders, Bleiben am Ort und Reisen sind gleich bedenklich. Der Geburtsort W. ist ihm in der aktuellen Form so fremd wie kein anderer Ort, das Reisen schenkt ihm oft auch kein Glück, nicht selten denkt er, besser wäre er zuhaus geblieben bei seinen Karten und Fahrplänen.

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