Der Wert der Worte
In Prousts Werk finden sich nur sehr wenige Passagen direkter Rede, verstanden im Sinne einer vom Erzähler freigestellten wörtlichen Rede anderer, und diese Passagen sind so
hölzern, daß, hätten sie überhandgenommen, auch ein auf Groschenromane
spezialisierter Verlag ein solches Buch nicht akzeptiert hätte. Die direkte
Rede beeinträchtigt den schönen Lauf der Prosa, das ist wohl der Grund, daß
Sebald sie ganz vermeidet. Freilich gibt es aber auch Meister der direkten
Rede. Für Stachura, der schöne Sätze ohnehin nicht mag, ist ein schlechter
Einfluß der direkten Rede nicht gegeben. Gleichwohl gehören einige seiner Erzählungen
ohne direkte Rede, wie etwa Los niezłomny (Unvermeidbares Schicksal), zu
den schönsten. Die Dialoge beginnen oft ohne Vorwarnung, der Roman Siekierezada
mit dem Satz: Er kam unter die Räder, wurde überrollt und kaputt:
sieht man ab von dem auf einen Dialog hinweisendem Schriftbild, könnte es sich
um den Beginn einer dialogfreien dadaistischen Erzählung handeln. Auch der
nächste Satz bringt noch keine Klärung: Es war in der Frühe, der Expreßzug
in die Hauptstadt: erst nach und nach scheint durch, daß es sich um vielfältigen Deutungen und
Kommentare zu Zbigniew Cybulskis Unfalltot handelt. Gerade weil ihn dieser Tod
besonders trifft, bleibt Pradera stumm. Auch in der Erzählung Zugfahrt am
Tage (Dzienna jazda pociągiem) verfolgt er Erzähler in seinem Abteil lange
Zeit stumm das themenreichen Gespräch zwischen einem Eisenflechter, einem
Friseur und einer Dame, die die jeweils vermutete Stellungnahme ihres nicht
anwesenden Ehemannes zum besten gibt. Ähnlich und doch anders verlaufen die
Gespräche mit Freunden und Kameraden, auch hier kommt es nicht zu
inhaltsreichen, notwendigen Debatten. Typisch ist der Umgang mit der in freier Natur aufgefundenen Ledertasche voller wunderlicher Akten. Witek
Różański liest vor, Szerucki kommentiert oder korrigiert sporadisch und
schweigt sonst. Die Schriftsätzen erwecken
Staunen und Gleichgültigkeit in eins, darüber zu reden lohnt sich nicht. In der
Bibliothek auf Rädern gerät Pradera im Gespräch mit der Bibliothekarin in eine
Endlosschleife gegenseitiger Höflichkeit, der er nur mit knapper Not entkommt. Nun,
eine Not ist es nicht, die Worte sind überflüssig aber gerade deshalb möchte
man sie sonderbarerweise nicht missen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen