Sonntag, 13. März 2022

Direkte Rede

Der Wert der Worte

In Prousts Werk finden sich nur sehr wenige Passagen direkter Rede, verstanden im Sinne einer vom Erzähler freigestellten wörtlichen Rede anderer, und diese Passagen sind so hölzern, daß, hätten sie überhandgenommen, auch ein auf Groschenromane spezialisierter Verlag ein solches Buch nicht akzeptiert hätte. Die direkte Rede beeinträchtigt den schönen Lauf der Prosa, das ist wohl der Grund, daß Sebald sie ganz vermeidet. Freilich gibt es aber auch Meister der direkten Rede. Für Stachura, der schöne Sätze ohnehin nicht mag, ist ein schlechter Einfluß der direkten Rede nicht gegeben. Gleichwohl gehören einige seiner Erzählungen ohne direkte Rede, wie etwa Los niezłomny (Unvermeidbares Schicksal), zu den schönsten. Die Dialoge beginnen oft ohne Vorwarnung, der Roman Siekierezada mit dem Satz: Er kam unter die Räder, wurde überrollt und kaputt: sieht man ab von dem auf einen Dialog hinweisendem Schriftbild, könnte es sich um den Beginn einer dialogfreien dadaistischen Erzählung handeln. Auch der nächste Satz bringt noch keine Klärung: Es war in der Frühe, der Expreßzug in die Hauptstadt: erst nach und nach scheint durch,  daß es sich um vielfältigen Deutungen und Kommentare zu Zbigniew Cybulskis Unfalltot handelt. Gerade weil ihn dieser Tod besonders trifft, bleibt Pradera stumm. Auch in der Erzählung Zugfahrt am Tage (Dzienna jazda pociągiem) verfolgt er Erzähler in seinem Abteil lange Zeit stumm das themenreichen Gespräch zwischen einem Eisenflechter, einem Friseur und einer Dame, die die jeweils vermutete Stellungnahme ihres nicht anwesenden Ehemannes zum besten gibt. Ähnlich und doch anders verlaufen die Gespräche mit Freunden und Kameraden, auch hier kommt es nicht zu inhaltsreichen, notwendigen Debatten. Typisch ist der Umgang mit der in freier Natur aufgefundenen Ledertasche voller wunderlicher Akten. Witek Różański liest vor, Szerucki kommentiert oder korrigiert sporadisch und schweigt sonst. Die  Schriftsätzen erwecken Staunen und Gleichgültigkeit in eins, darüber zu reden lohnt sich nicht. In der Bibliothek auf Rädern gerät Pradera im Gespräch mit der Bibliothekarin in eine Endlosschleife gegenseitiger Höflichkeit, der er nur mit knapper Not entkommt. Nun, eine Not ist es nicht, die Worte sind überflüssig aber gerade deshalb möchte man sie sonderbarerweise nicht missen.

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