Änderungen
Du mußt dein Leben ändern: Sloterdijk hat Rilkes Gedichtausklang zum Buchtitel gemacht. Man kann unterstellen, Giorgio Santini, ursprünglich San Giorgio, habe ich
seinem mehr als tausendjährigen Dasein sein Leben oft genug geändert,
übergreifend vom Drachentöter zum Artisten, was dazwischen liegt, ist leider nicht
dokumentiert. Wir treffen Santini im deutschen Konsulat zu Mailand, wissen aber
nicht, was sein Anliegen ist. Will er sich in Deutschland nach erweiterten
Berufsmöglichkeiten umsehen? Artisten im herkömmlichen Sinn haben nicht mehr
die Resonanz wie vor hundert Jahren. Kafka vermerkt ausdrücklich, in den
letzten Jahrzenten sei das Interesse an Hungerkünstlern stark zurückgegangen, die
Sparte der Hungerkunst, des Hungerkünstlers ist inzwischen längst erschöpft,
als Hungerkünstler kann man buchstäblich sein Brot nicht mehr verdienen, man
müßte denn ergänzend als gewichtsbewußter Skispringer Aufmerksamkeit erregen
und Erfolge aufweisen. Das würde Santini, den Hochseilartisten, nicht weiter
betreffen, aber, wiederum Kafka mit vorausschauendem Blick, der wahre Weg gehe bald
schon über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem
Boden, es scheine mehr bestimmt stolpern zu machen, als begangen zu werden. Aus
der Zukunft ist längst Gegenwart geworden, man mußte sich neu einrichten. Die einschlägige und maßgebliche Neuausrichtung
ist die Wiederbelebung der Olympischen
Spiele durch Pierre de Courbertin,
die nach seiner Vorstellung mit einer Wiedererweckung
der altgriechischen Kultur einhand gehen sollte. Dieser zweite Teil wurde von
den sogleich epidemisch sich einstellenden Sportfunktionären ohne jegliches
Aufheben abgewunken. Was blieb ist die in die Breite sich entwickelnde Artistik, mit Sloterdijks
Worten die Somatisierung - ist Somatisierung identisch mit Entgeistigung? - des Unwahrscheinlichen, des nicht für möglich Gehaltenen.
Angesichts des von Kafka prognostizierten bodennahen Flachspiels konnte die bald
einsetzende Dominanz des Fußballs nicht überraschen. Der Name unseres
Exheiligen verschiebt sich vom italienischen San Giorgio zum polnischen Jerzy Świętowski,
in Erscheinung und fußballerischem Können ähnelt er jetzt Lewandowski. Nach gewonnenem
Spiel und wieder auf freiem Fuß trägt Świętowski, come rain come shine, wie
schon in allen seinen früheren Inkarnationen, den wunderbaren, formvollendeten
weitkrempigen Strohhut.
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