Sonntag, 10. April 2022

Ländliche Wirtshäuser

 Gefahren

In Gaststätten, so der Dichter, würde er meistens schlecht bedient, als Kontrast hebt er den geradezu märchenhaften Empfang in  der Goldenen Taube in Verona hervor. Auf dem gewohnten Niveau bewegt er sich dann wieder in den Tiroler Stuben zu Innsbruck, wo ihm die Bedienerin auf die bösartigste Weise, die man sich denken kann, das Maul anhängt. Gut oder schlecht bedient, eine Gefahr für Leib und Leben besteht jedenfalls nicht. Von Gefahr konnte womöglich die Rede sein, als er im Stehbuffet der Ferrovia Venedig die Augenpaare zweier verdächtiger junger Männer auf sich gerichtet spürte. Wenn er als Kind vom Vater in den Gasthof geschickt wurde Zigaretten zu holen, hatte er noch keinen Überblick auf das Gesamtgeschehen. Zwar bemerkte er, daß die Bauern gruppenweise an den Tischen saßen, der Jäger Schlag dagegen einsam, seine ganze Aufmerksamkeit galt aber allein dem schönen Serviermädchen Romana. Als er dann die Romana mit dem Jäger bei einer seltsamen Körperertüchtigung im Holzschopf beobachtete, der einarmige Engelwirt daraufhin tags darauf die ganze Einrichtung der Gaststätte zerschlug und der Jäger kurze Zeit später tödlich verunglückte, wußte er sich keinen rechten Reim zu machen. Nach einem ereignis- und erlebnisreichen Ausflug kehren Edmund Szerucki und Witek Różański in einer kleinen ländlichen Ortschaft ein bei einem Wirtshaus mit Namen Pod Łososiem, ihr Hunger ist erheblich. Sie sind sich im klaren darüber, daß die Einkehr in einem Wirtshauses ländlicher Gegend nicht ganz ungefährlich ist, Fremde werden beargwöhnt, die Folgen sind nicht immer friedlich. Da ist es schon eine Erleichterung, keine jungen Leute im Pod Łososiem anzutreffen, die Älteren sind um einiges stiller, tatsächlich können Edmund und Witek weitgehend unbehelligt ihren Appetit stillen. An  der Festveranstaltung im Wagenschuppen will Pradera sozusagen nur passiv teilnehmen, ein wenig trinken, selbst nicht tanzen, aber ein wenig zuschauen, wie die anderen tanzen, und schon frühzeitig zurückkehren in seine Unterkunft. Gerade seine Passivität mißfällt einigen der Festteilnehmer, wieso  er nicht tanze, ob ihm die Mädchen aus dem Dorf nicht gefallen, und was er für seltsame Knöpfe er an der Jacke habe. Eine Auseinandersetzung scheint unvermeidlich, da fragt hinter ihm jemand: Soll ich unsere Leute holen? Die Leute sind nur erdacht, gleichwohl ziehen sich die beiden Händelsuchenden zurück, bei dem Mann in Praderas Rücken handelt es sich um einen gewissen Michał Kątny. Tage später bricht Pradera in aller Frühe auf zum Milchladen, wo man ohne Schwierigkeiten ein Viertel oder zwei Viertel zum Beginn des Tages trinken konnte. Dazu ein Stück Brot. Eine Tomate. Dann mußte man weitersehen. Auch der Weg zu diesem Wirtshaus, wenn man den Milchladen so einstufen will, ist nicht gänzlich ohne Gefahr. Immer wieder begegnen ihm in Gegenrichtung Leute, die zu ihrem Arbeitsplatz eilen. Es ist ein Unterschied, Familienväter, die im Morgengrauen zur Arbeit hasten oder zum frühen Arbeiterzug, denen er den Weg freimacht, um ihnen keine unnötigen Schritte zuzumuten, und auf der anderen Seite eine Bande jugendlicher Nachkommen, die sich rücksichtslos dahinbewegen. Sie kommen ihm also entgegen, und er geht ihnen entgegen auf derselben Seite des Gehwegs, macht keinen Schritt zur Seite, obwohl er Angst hat, die Wangen steif werden und die Waden zu zittern beginnen, denn er weiß, sie können auf mich losgehen oder etwas sagen und er muß dann etwas sagen, und einer von ihnen sagt: Hast du nach der Befreiung schon einmal einen auf die Rübe bekommen? Er antwortet etwas im gleichen hohen Stil und entweder bleibt es beim Wortwechsel, oder er bekomme etwas ab am hellichten Tag und liegt da, mitten auf der Straße, unter den Augen der Mitbürger. Denn niemand rührt sich und kommt ihm zur Hilfe. Und was weiter? Erst einmal geht es nicht weiter. Die Wunden lecken. Dann erst kann es weitergehen. Rache. Einem von ihnen lange auflauern, und dann verläßt er heimlich die Stadt. So ist es oft gewesen. Er ist der Rächer.

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