Dienstag, 12. Juli 2022

Schreibsituationen

Entspannt 

Es gibt keinen Hinweis, daß der Dichter während der ersten Italienreise irgendetwas schriftlich notiert hätte, bei der zweiten Reise schreibt er schon während der Anreise pausenlos. Dabei scheinen die Umstände denkbar ungünstig zu sein. Der Zug ist rettungslos überfüllt, man muß draußen auf dem Gang stehen oder in einer äußerst unbequemen Stellung auf einem Koffer oder einem Rucksack kauern. Geschwinder aber als er es für möglich gehalten hätte verging ihm über auf seinen Knien ausgebreiteten Aufzeichnungen die Zeit. Dann, nach der Ankunft, setze  er sich an der Riva nieder und holte wieder sein Schreibzeug hervor. Nichts ist ausdrücklich auf das Schreiben vorbereitet, aber alles scheint geeignet für das Schreiben. Geradezu luxuriös scheint später dann die Lage nach der Ankunft in Limone zu sein. Die Feriengäste sind sämtlich auf der Terrasse versammelt, er sitzt mit seinen Papieren allein in der Gaststätte, Luciana serviert in regelmäßigen Abständen einen Ristretto, bisweilen auch einen Sandwich, es stört in keineswegs, daß sie sich für sein Schreiben interessiert und Fragen stellt, im Gegenteil, das Schreiben geht ihm mit erstaunlicher Leichtigkeit von der Hand. Wo auch immer, in Gasthöfen oder in Bibliotheken, er hat keine Mühe mit dem Schreiben, noch im Gasthof zum Engelwirt in W., dem nicht geliebten Ort seiner Kindheit, schreibt er weiter. Die Leichtigkeit des Schreibens resultierte wohl aus der Ungezwungenheit, kein Drängen, kein Zwang, keine Fertigstellung zu einem bestimmten Zeitpunkt im Auge. Nachdem weder die anwesende noch die abwesende Schwester Rudolf die Niederschrift seiner Studie in Peiskam ermöglicht, verlegt er seinen Aufenthaltsort auf die Insel Mallorca, mit der Niederschrift bereits während des Fluges zu beginnen, kommt ihm nicht in den Sinn. Im Hotel in Palma werden sie Unterlagen genau so sorgfältig parat gelegt wie in Peiskam. Eine Niederschrift scheint nur möglich, wenn das übliche Leben stillgelegt ist, gerade die Stillegung aber läßt das übliche Leben nicht zu. Auch der dank seiner Studie das Gehör betreffend im Kalkwerk zum Wohl der Niederschrift verbarrikadierte Konrad kommt nicht zum Ziel, nicht einmal zum ersten Satz. Der Dichter hat in der zweiten Italienreise das Schreiben in das übliche Leben integriert, in die Bewegung der Zeit, in das Reisen. Die sich an den Schreibtisch fesselnden Niederschreiber von Studien bringen keine der ersehnten Zeilen zu Papier. Die Aufzeichnungen des reisenden Dichters lesen wir nicht ohne Entzücken in den Schwindel.Gefühlen, die Studien bleiben uns als von Bedinn an mißlungene Unternehmungen vorenthalten. Einzuräumen ist, daß Prosa und Essayistik nicht dem gleichen Schwierigsgrad unterliegen wie wissenschaftliche Studie.

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