Klopfkäfer und Totenuhren
Der Major Le Strange ist zweifellos der maßgebende Eremit im Oeuvre. Der Dichter hat ihn nicht kennengelernt, sondern erst nach seinem Tot von ihm erfahren.
Kennenlernen konnte man ihn allerdings ohnehin nicht, da er seit Jahren schon
in totaler Zurückgezogenheit gelebt hatte, allein mit seiner Haushälterin, die
ihm das Essen kochen und unter absolutem Schweigen an der Mahlzeit teilnahm.
Nicht ganz klar ist, ob das Schweigegebot nur für die Essenszeit oder generell
bestand. Hatte die Haushälterin zum Beispiel auch ohne Rücksprache mit dem
Major die Handwerker für unvermeidliche Reparaturen zu bestellen? Wenn Le
Strange sozusagen freiwillig in einer geschlossenen Abteilung lebt, ist Dr. Abramsky als
Freigänger einzustufen, angetan mit einer abgewetzten Hose und einem vielfach
geflickten Kittel empfängt er ohne Umschweife den unerwarteten Gast und läßt
ihn in einem Korbsessel Platz nehmen. Eine Haushälterin kümmert sich offenbar nicht um Abramsky. Während im Fall
des Majors sich nicht klar festlegen läßt, worin der Anlaß für seinen Abschied
von der Menschheit zu suchen ist, erläutert Abramsky selbst den Grund für
seinen Rückzug. Beide Eremiten lassen die übliche zivile Kleidung vermissen, Le Strange
sieht man über den Gartenzaun hinweg in einem vom Dachboden seines Hauses
herabgeholten kanariengelben Gehrock vergangener Zeiten, Abramsky, wie bereits erwähnt, in abgewetzter Kleidung. Anders als Le Strange
ist Abramsky gastfreundlich und auskunftsbereit. 1949 sei er als Assistenzarzt
im von Fahnstock geleitete Sanatorium Samaria in den Dienst eingetreten und
sogleich mit der damals gerade erst entwickelten Schockbehandlung vertraut geworden. Schon bald sei ihm klar gewesen, daß das neueingerichteten
Instrument der Schocktherapie die Patienten weniger geheilt als zu Tode kuriert
hat. Fahnstock aber habe sich nicht beirren lassen und zusätzlich noch die vom
deutschen Psychiater Braunmühl entwickelte sogenannte Blockmethode eingeführt,
bei der nicht selten über hundert Schocks in jeweils nur wenigen Tagen
verabreicht wurden. Zehn Jahre später sei Fahnstock gestorben und weitere zehn
Jahre später habe er, Abramsky, das Stethoskop aus der Hand gelegt. Inzwischen sei das
Sanatorium Samaria aufgelassen, er wohne abwechselnd im Boots- oder im
Bienenhaus. Dem Mäusevolk gelte heute seine Hoffnung und ebenso den Holzbohrern,
den Klopfkäfern und den Totenuhren, die das an einigen Stellen schon
nachgebenden Sanatorium über kurz oder lang zum Einsturz bringen würden, alles
wird in sich zusammensinken. Der Rückzug aus dem normalen Leben ist bei
Abramsky weniger radikal als bei Le Strange, gleichzeitig sind seine Gründe leichter
einsehbar. Eine Zerstörung seines Landsitzes, vergleichbar dem erhofften Einsturz des Sanatoriums Samaria, hat Le Strange weder eingeleitet
noch erwartet, noch ist sie eingetreten.
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