Freitag, 15. Juli 2022

Themenprotagonist

 Im Sprachdickicht

Ich bin das Thema aller Themen, du sollst kein Thema haben neben mir. Themenprotagonist ist ohne Frage der Holocaust, in den Augen der Literaturkritik läßt er, einmal angesprochen, keine anderen Themen zu Worte kommen, geschweige denn, daß die kleinen gelben Mauerflecken, les petits pans de mur jaunes, die Bergotte zufolge in der Literatur nicht weniger als in der Malerei den eigentlichen Sinne ausmachen, noch bemerkt werden könnten. Sebald gilt als Dichter des Holocaust, dabei hat das Thema nur in Austerlitz eine bedeutsame, nicht einmal dominierende Rolle, einige der Vier langen Erzählungen haben eine Holocaustgeschichte, andere nicht, die Ringe des Saturn sind kaum befallen, im ersten, später nicht mehr übertroffenen Buch, den Schwindel.Gefühlen, schweigt das Thema so gut wie ganz, wieso also Holocaustdichter? Auch Austerlitz wird der Einstufung als Holocausterzählung nicht gerecht, und so tadelt man den Dichter, daß er sich mit Waschbären und anderen unnützen Dingen beschäftigt, Seiten schindet, wie es heißt, anstatt zügig zur Sache zu kommen und dann auch bei der Sache zu bleiben. Anderen Autoren ergeht es ähnlich. Sensible Menschen, so heißt es, würden im Titel Auslöschung ohne weiteres einen Gleichklang mit Auschwitz bemerken, es fragt sich nur, ob die sensiblen Menschen richtig umgehen mit ihrer Sensibilität.  Auslöschung besteht aus zwei, jeweils gut dreihundert Seiten umfassenden Kapiteln, Telegramm und Testament, in beiden Kapiteln werden weder Auschwitz noch der Holocaust ausdrücklich genannt. Anscheinend also kommt Murau überhaupt nicht zur Sache, tappt endlos im Dunklen. Was schließlich benannt wird, ist ein von ihm wahrgenommenes fortdauerndes Amalgam von Katholizismus und Nationalsozialismus in Österreich, nicht zu vergessen der das Land ebenso prägende sogenannte Pseudosozialismus, also auch die andere Seite der politischen Medaille. Muraus Familie ist mit dem Katholizismus und dem Nationalsozialismus vertraut, nicht mit dem Pseudosozialismus, diese Sparte erfährt daher weniger Aufmerksamkeit, die Literaturkritik, die sich in Bernhards Sprachdickicht verlaufen hat, interessiert sich ohnehin nur für die Nationalsozialisten. Alles in allem ist Murau ungeeignet für eine sachliche Beurteilung der Lage. Die Jäger und die Gärtner etwa werden ihm zu Märchengestalten, die Gärtner immer gut, die Jäger immer schlecht. Die Eltern erscheinen ihm einmal schlecht wie die Jäger, dann wieder nicht, die Prosa schwebt undurchsichtig über den Tatsachen. Bernhards Figuren neigen, darin offenbar Wittgenstein folgend, zur Abschenkung mindestens eines Teils ihres Vermögens, daß in der Auslöschung die Israelitische Kulturgemeinde in Wien davon profitiert ist nicht zufällig, aber auch ohne tiefere Bedeutung. An andere Stelle sind es etwa die nach Jahren aus der Haft Entlassenen. Tak czy owak, so der so, die Menschheit wird von der sogenannten end- und pausenlosen Aufarbeitung des Holocausts nicht geläutert. Am Ende des Jahrtausends sei die Menschheit, prognostiziert Murau nicht zuletzt wegen des uferlos um sich greifenden Photographiersucht, geistig komplett ruiniert, der vorzeitige freiwillige Rücktritt aus dem Leben noch vor der Zeitenwende wird uns empfohlen. Murau ist, wie man liest, bereits 1983, also rechtzeitig, unter weiter nicht bekannten Umständen gestorben. Schon zuvor hatten die Ärzte ihm nur noch eine kurze Lebensspanne prognostiziert.

Keine Kommentare: