Ein Kind
Photographien zeigen den Dichter als Heranwachsenden in schneller Fahrt auf dem Rad, für die frühere Kindheit haben wir entsprechende Belege nicht. In der Prosa erleben wir
ihn eigentlich nur auf Reisen, ein Velo nimmt er nicht mit, mit dem Fahrrad
unterwegs in Italien oder gar in Amerika, das wäre schon seltsam. Bernhard
stützt seine gesamte Lebensgeschichte auf ein fatales Fahrraderlebnis im Alter
von acht Jahren. Er hat ein seit längerer Zeit herrenloses Velo, ein
sogenanntes Steyr-Waffenrad, an sich gebracht, das er unter Berücksichtigung
seiner Körpergröße naturgemäß nur mit dem Fuß unter der Stange pedalieren kann.
So mancher aus seiner Generation, dem es nicht anders ergangen war, ist heute
noch stolz auf die Beherrschung des erforderlichen speziellen Fahrstils, sie
sehen sich noch immer als die einzig wahren Radfahrer. Die ersten Versuche am
Ort stimmen ihn weit mehr als nur hoffnungsvoll, ein künftiger Velostar
zeichnet sich jenseits jeden Zweifels ab. Er sieht sich nach größeren
Herausforderungen um, weitergespannten Zielen und verfällt auf die Tante Fanny,
wohnhaft sechsunddreißig Kilometer entfernt. Der erste Abschnitt, fast die Hälfte der
Strecke, erlaubt eine tollkühne Abfahrt, zu bedauern alle, die das
Husarenstück nicht bewundern können. Mit der berüchtigten Rennfahrerhaltung läßt
sich die Geschwindigkeit um ein weiteres steigern. Hinter Straß, fast schon bei
Hinterstraß, reißt die Kette und verwickelt sich erbarmungslos in die Speichen
des Hinterrades, der tollkühne Hecht wird in den Straßengraben katapultiert. Auch
wenn die Verletzungen überschaubar sind, in Sekundenschnelle ist das Heldenepos
zur Tragödie geworden, der Siegerstolz verwandelt sich im nächsten Augenblick in
die Schmach der Niederlage. Wenn Bernhard später seine Poesie des Unglücks
entwickelt hat, mag das unter anderem auch auf dieses frühe Erlebnis
zurückzuführen sein. Nicht zu übersehen ist andererseits Bernhards heilloser Spaß an seinem Fahrradunheil.
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