Donnerstag, 28. Juli 2022

Radler

Ein Kind

Photographien zeigen den Dichter als Heranwachsenden in schneller Fahrt auf dem Rad, für die frühere Kindheit haben wir entsprechende Belege nicht. In der Prosa erleben wir ihn eigentlich nur auf Reisen, ein Velo nimmt er nicht mit, mit dem Fahrrad unterwegs in Italien oder gar in Amerika, das wäre schon seltsam. Bernhard stützt seine gesamte Lebensgeschichte auf ein fatales Fahrraderlebnis im Alter von acht Jahren. Er hat ein seit längerer Zeit herrenloses Velo, ein sogenanntes Steyr-Waffenrad, an sich gebracht, das er unter Berücksichtigung seiner Körpergröße naturgemäß nur mit dem Fuß unter der Stange pedalieren kann. So mancher aus seiner Generation, dem es nicht anders ergangen war, ist heute noch stolz auf die Beherrschung des erforderlichen speziellen Fahrstils, sie sehen sich noch immer als die einzig wahren Radfahrer. Die ersten Versuche am Ort stimmen ihn weit mehr als nur hoffnungsvoll, ein künftiger Velostar zeichnet sich jenseits jeden Zweifels ab. Er sieht sich nach größeren Herausforderungen um, weitergespannten Zielen und verfällt auf die Tante Fanny, wohnhaft sechsunddreißig Kilometer entfernt. Der erste Abschnitt, fast die Hälfte der Strecke, erlaubt eine tollkühne Abfahrt, zu bedauern alle, die das Husarenstück nicht bewundern können. Mit der berüchtigten Rennfahrerhaltung läßt sich die Geschwindigkeit um ein weiteres steigern. Hinter Straß, fast schon bei Hinterstraß, reißt die Kette und verwickelt sich erbarmungslos in die Speichen des Hinterrades, der tollkühne Hecht wird in den Straßengraben katapultiert. Auch wenn die Verletzungen überschaubar sind, in Sekundenschnelle ist das Heldenepos zur Tragödie geworden, der Siegerstolz verwandelt sich im nächsten Augenblick in die Schmach der Niederlage. Wenn Bernhard später seine Poesie des Unglücks entwickelt hat, mag das unter anderem auch auf dieses frühe Erlebnis zurückzuführen sein. Nicht zu übersehen ist andererseits Bernhards heilloser Spaß an seinem Fahrradunheil.

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