Sonntag, 17. Oktober 2010

Der Operngucker

Aus dem Schattenreich
Kommentar
In der Stadt, wo sämtliche Häuser und öffentlichen Plätze von der biwakierenden Armee belegt waren, gelang es mir, für mich und den Capitaine, in dessen Gesellschaft ich in die Stadt eingeritten war, im Warenlager einer Färberei zwischen allerlei Fässern und kupfernen Kesseln ein von einer eigenartig säuerlichen Luft durchwehtes Quartier aufzutun. In einem Anflug von Unternehmungslust, weder meines Hungers noch meiner Übermüdung noch des Einspruchs des Capitaines achtend, bin ich am Abend dann in das Emporeum, wo, wie ich auf mehreren Affichen angezeigt gesehen hatte, Cimarosas Il Matrimonio Segreto gegeben wurde. Im Verlauf der Aufführung sind mir wiederholt die Tränen in die Augen getreten und beim Verlassen des Emporeums war ich überzeugt, daß die Actrice, die die Caroline gegeben hatte mehrmals eigens auf mich gerichtet hatte. Sicherheit hatte ich allerdings in Ermangelung meines Opernguckers nicht. Am Tag darauf hatten wir diesbezüglich einen kleinen Streit. Der Capitaine behauptete, er hätte mir den kleinen Operngucker bestimmt zurückgegeben, er habe zwar großes Verlangen nach ihm gehabt, habe ihn auch längere Zeit in den Händen hin und her gedreht, habe sich ihn vielleicht sogar für ein paar Tage ausgeborgt, habe ihn aber bestimmt zurückgegeben. Ich dagegen suchte ihn an die Situation zu erinnern, nannte die Gasse, in der es geschehen war, das Gasthaus gegenüber dem Kloster, an dem wir gerade vorübergegangen waren, beschrieb, wie er mir zuerst den Gucker hatte abkaufen wollen, wie er mir dann verschiedene Sachen zum Tausch für ihn angeboten hatte und wie er dann allerdings mit der Bitte herausgerückt war, ihm den Gucker zu schenken. Warum hast du mir ihn fortgenommen, sagte ich klagend. Mein Lieber, sagte er, das ist ja nun alles längst vorüber. Ich bin zwar überzeugt, daß ich dir den Gucker zurückgegeben habe, aber selbst wenn du ihn mir geschenkt haben solltest, warum quälst du dich jetzt deshalb, und mich dazu. Fehlt dir der Gucker hier etwa? Oder hat der Verlust dein Leben sehr beeinflußt? Nicht das, nicht jenes, sagte ich, indem ich die Wahrheit vor ihm verbarg, es tut mir nur leid, daß du mir den Gucker damals fortgenommen hast. Ich hatte ihn als Geschenk bekommen, er hat mich sehr gefreut, ein wenig vergoldet war er, erinnerst du dich? und so klein, daß man ihn immer in der Tasche tragen konnte. Dabei waren es scharfe Gläser, man sah durch ihn besser als durch manchen großen Gucker.

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