Donnerstag, 29. November 2018

Aktentaschen

Per Eisenbahn, per Strick

Eine kurze Filmsequenz des syrischen Fernsehens zeigt Baschar Al-Assad, als er in einem schlichten Anzug okzidentalen Zuschnitts mit einer Aktentasche unterm Arm frühmorgens das Amtsgebäude betritt, wie jeder andere öffentliche Bedienstete bereit für das in seinem Fall besonders schwere Tagwerk. Eine Aktentasche ist immer der Ausweis eines geordneten bürgerlichen Lebens, all das andere, was man sonst noch zu hören und zu sehen bekommt aus Syrien, Kämpfen und Morden, ist offenbar getürkt und erlogen. So unverzichtbar die Aktentasche im bürgerlichen Leben ist, so fehl am Platz ist sie im sakralen. Wenn der Katechet die Flasche mit dem geweihten Wasser in einer schwarzglänzenden, schweinsledernen und nicht gottgefälligen Aktentasche befördert, hat er bereits verloren im Kampf mit Bereyter, der das Weihwasserbecken immer schon aus der profanen Gartenkanne aufgefüllt hat. Ungeachtet seiner tiefen, geradezu körperlich empfundenen Abneigung gegenüber dem Katholizismus gilt Bereyter als gottgläubig, die Umrisse dieser Gottgläubigkeit werden aber nicht erkennbar, auch nicht in der Stunde seines Todes.

In seinem Sterbetagebuch Pogodzić się ze światem, Seinen Frieden machen mit der Welt, findet Stachura am ehesten noch Halt am von keines Gedankens Blässe angekränkelte polnischen Katholizismus seiner Mutter, der ihm selbst naturgemäß verschlossen ist. Das Tagebuch führt vom ersten, in seinem Fall mißlingenden Suizidversuch per Eisenbahn – nur die rechte Hand wurde ihm abgefahren, er schreibt nun mit der linken – zum zweiten und erfolgreichen Versuch per Strick drei Monate später.

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