Anders gekommen
Anmerkungen zu Gottfried Keller
Als Keller im Vormärz mit dem Schreiben begann, trieb die Hoffnung auf einen neuen Gesellschaftsvertrag schöne Blüten, stand die Verwirklichung der Volksherrschaft zu erwarten, hätte alles noch anders kommen können, als es dann tatsächlich kam.
Hätte es anders kommen können? Schauen wir uns um bei drei prominenten Gewährsleuten.
Anmerkungen zu Gottfried Keller
Als Keller im Vormärz mit dem Schreiben begann, trieb die Hoffnung auf einen neuen Gesellschaftsvertrag schöne Blüten, stand die Verwirklichung der Volksherrschaft zu erwarten, hätte alles noch anders kommen können, als es dann tatsächlich kam.
Hätte es anders kommen können? Schauen wir uns um bei drei prominenten Gewährsleuten.
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Leibniz Gott kann zwar alle möglichen Welten denken, aber doch nur die beste von ihnen wollen, denn mit seiner Vollkommenheit wäre es unverträglich, das weniger Vollkommene, oder wenn man will, das Böse zu tun. Er hat die beste aller Welten durch seine Weisheit erkannt, durch seine Güte erwählt und durch seine Macht verwirklicht.
Furet
Le postulat de la nécessité de ce qui a eu lieu est une illusion rétrospective classique de la conscience historique: le passé est un champ de possibles à l‘intérieur duquel ce qui est arrivé apparaît après coup comme le seul avenir de ce passé.
Luhmann
Alles könnte ganz anders sein, und kaum etwas läßt sich ändern.
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Leibniz‘ Ansatz ist von Voltaire auf die bekannte Weise verspottet worden und hat auch sonst wenig Anhänger gefunden, vielleicht zu Unrecht. Zwar kann die beste der möglichen Welten die Menschen nicht zufriedenstellen, der Herr, moderner als gedacht, mag in seiner Gesamtverantwortung aber auch Faktoren berücksichtigt haben, die nicht den Menschen betreffen. Die beste aller möglichen Welten könnte sich so gesehen noch in einem göttlichen Optimierungsprozeß befunden haben, bevor sich die Revolutionäre der Sache annahmen und die Anthropodizee an die Stelle der Theodizee trat. Die perfekte Welt ließ sich aber, wie schon bald sichtbar wurde, mithilfe des statischen Kants und ähnlicher Denker nicht einrichten. Man ging den halben Weg zu Leibniz zurück und ersetzte Gottes vollkommene Welt, deren innere Bewegung man nicht wahrgenommen hatte, durch eine zeitlich gestreckte, eine werdende Welt. Hegel und Marx wiesen die Richtung, die Theodizee machte der Istoriodizee Platz. Marx glaubte, ein ehernes geschichtliches Gesetz aufgedeckt zu haben, das unweigerlich zum ersehnten Ziel führen mußte. Ehern, stalin, war das Gesetz schon, inzwischen wird aber kaum noch jemand behaupten, das ersehnte Ziel sei erreicht worden. Furet, ursprünglich selbst Kommunist, weist in seinen Arbeiten jeden historischen Determinismus zurück: Lénine, Staline, Hitler sont autant d’accidents: supprimons-les par hypothèse, et tout prends un autre cours. Un autre cours, einen anderen Verlauf – aber keinen völlig anderen. Nationalismus und Universalismus waren laut Furet eine Zwillingsgeburt der Französische Revolution, eine Auseinandersetzung, wie unter Zwillingen üblich, war nicht zu vermeiden, schon aber die extreme Form, in der beide Seiten ihre häßlichste und als solche kaum mehr unterscheidbare Visage zeigten.
Sicher hätte auch zur Zeit des Vormärz alles noch anders kommen können, als es dann tatsächlich kam, anders sollte man aber nicht voreilig als besser lesen; daß es noch schlimmer hätte kommen können, als es dann letztendlich gekommen ist, vermag sich allerdings niemand vorzustellen. Luhmann betritt die Szene nicht als Philosoph oder Historiker, sondern als Evolutionstheoretiker. Geschichte ist für ihn Evolution im Bereich der Gesellschaftsstruktur, verbunden mit dem aus seiner Sicht vergeblichen Wunsch der Evolution in diesem Bereich einen menschenfreundlichen Charakter zu verleihen. Luhmanns Bonmot ließe sich vielleicht noch etwas zielführender so umformulieren: Alles ändert sich ständig, unbekümmert aber um unsere, der Menschen Wünsche. Zu ergänzen bleibt, daß jede Entscheidung, jeder Richtungswechsel Möglichkeiten, die vorher bestanden, beseitigt und andere an den Horizont wirft. Die verborgenen großen Bewegungen weit unten, die von Luhmann diagnostizierte Umwandlung der Gesellschaft von einer primär vertikalen in eine primär funktionale Ordnung etwa, bleiben unberührt und ließen sich nur noch vermittels einer Katastrophe aufhalten. Abgesehen davon hätte aber viel, sehr viel anders kommen können.
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